Archiv der Kategorie: Heute Keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik – Spurensuche

Hintergrundinformationen zu Heute keine Schüsse – Weimarer Republik

13.10.1930, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Eröffnung des neu gewählten Reichstags.

Ernst erzählte, dass die Abgeordneten der NSDAP uniformiert im Reichstag erschienen seien, obwohl das Tragen der braunen Uniformen in Preußen verboten sei.

Und ebenso provozierend ist das Verhalten ihrer Anhänger auf der Straße.

Am Nachmittag begegneten mir in der Leipziger Straße grölende Nationalsozialisten, die die Scheiben von Wertheim und Grünfeld einwarfen. Es fällt auf, dass die Zerstörung nur die Geschäfte mit jüdischen Namen trifft.

Später auf dem Potsdamer Platz grölten sie wieder:

„Deutschland erwache!“ „Juda Verrecke!“ „Heil, Heil!“

Meist Halbwüchsige sind es, vermutlich Arbeitslose, die immer wieder von der Schupo auseinander getrieben werden. Es erinnert mich an die Tage der Revolution.

Die Regierung muss nun entschlossen handeln, wenn sie keinen Bürgerkrieg riskieren will.

22.02.1930, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Werner war wieder zu Besuch. Er war so aufgebracht, dass er noch nicht einmal Platz nehmen wollte.

„Grosz wird der Prozess gemacht. Sein Bild Christus mit der Gasmaske wurde auf einer Ausstellung beschlagnahmt. Nun ist Anklage gegen ihn erhoben worden. Wegen Beschimpfungen der christlichen Kirche. Wir dürfen uns diese dreiste Beschneidung unserer künstlerischen Freiheit nicht länger gefallen lassen!“ Ich hörte Empörung, aber auch Neid aus dem Bericht Werners.

Die Werke von George Grosz wurden von den Nationalsozialisten später als „entartete Kunst“ diffamiert. Heute erinnert eine Gedenktafel am Wohnhaus des Künstlers an sein Werk.

10.09.1930, Mittwoch aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Der Führer der NSDAP sprach im Sportpalast. Ich beschloss, trotz des leichten Regens zu Fuß über die Potsdamer Straße zum Sportpalast nach Schöneberg zu gehen. Wieder das gleiche Bild wie vor nicht einmal zwei Jahren: Ganz Berlin schien auf den Beinen. Und alle waren zur großen Veranstaltungshalle unterwegs. Arbeiter, Angestellte, Studenten, Arbeitslose. Vor dem Sportpalast hielten im Minutentakt die Automobile derer, die sich eine Fahrt im eigenen Wagen leisten können: die Fabrikanten, Unternehmer, Geschäftsleute. Alle wollten den Mann hören, der in seinen Reden während der letzten Wochen immer öfter als Gegner der Republik auftrat. Der Mann, der verspricht, das zerstrittene Volk wieder zu einen und sich der Sorgen der Arbeiter und Arbeitslosen anzunehmen.

„Der Nationalsozialismus kämpft für den deutschen Arbeiter, indem er ihn aus den Händen seiner Betrüger nimmt.“

Der Sportpalast bietet Raum für 16.000 Menschen. Dann wurden die Tore geschlossen. Ich blieb, wie so viele, draußen.

Der Sportpalast war eine riesige Veranstaltungshalle im Stadtteil Schöneberg  in der in erster Linie Kundgebungen und Sportereignisse ( Sechstagerennen, Boxen) stattfanden . Die Halle wurde 1973 abgerissen und durch triste, mehrstöckige Wohnhäuser ersetzt. Ein Gedenktafel in liebloser, ungepflegter  Umgebung erinnert an den Sportpalast.

07.09.1930 aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Die Werke von Schad wurden zur diesjährigen Großen Kunstausstellung nicht zugelassen. Heute gab es im Café Vaterland anlässlich der Eröffnung der Ausstellung heftige Debatten über die Gründe. Zwar war Schad einige Zeit mit dadaistischer Kunst beschäftigt, allerdings hat er sich schon seit längerem der Neusachlichkeit zugewandt. Keiner weiß wirklich zu erklären, warum die meisten seiner Werke abgelehnt wurden.

Das Cafè Vaterland im Haus Vaterland war ein beliebter Künstlertreff. Das Haus Vaterland selbst war ein riesiger Gaststättenbetrieb, den man heute wohl unter „Erlebnisgastronomie“ einordnen würde.

Leider gibt es am Potsdamerplatz keinerlei Spuren des imposanten Gebäudes mehr. Aber das Konzept der Erlebnisgastronomie mit zahlreichen Restaurants und Kinos wurde im SonyCenter an gleicher Stelle fortgeschrieben.

14.07.1930, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Das neue Pergamon-Museum auf der Spree-Insel ist fertiggestellt. Es ist noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, aber Erich schreibt vor der Eröffnung über die Ausstellung und lud uns zu einer Sonderführung ein. Die antike Architektur und die Ausstellungsstücke aus der Armana-Sammlung sind sicherlich einzigartig. Aber ich muss gestehen, dass Kunstwerke der Antike nur wenig gefühlsmäßige Wirkung in mir erzeugen.

Im Rahmen des Masterplanes Museumsinsel wird das Museum  seit 2013 abschnittsweise saniert.

06.12.1930, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Elsa ist in Berlin. Ich habe sie zur deutschen Aufführung von Remarques Im Westen nichts Neues ins Kino am Nollendorfplatz eingeladen. Wir hatten gerade Platz genommen, als junge Braunhemden aufstanden und weiße Mäuse freiließen. Andere warfen Stinkbomben und streuten Niespulver. Dem Publikum blieb nichts anderes übrig, als den Saal zu verlassen.

 

Obwohl Remarque selbst das Buch als unpolitisch bezeichnet hat, ist es als Antikriegsroman zu einem Klassiker der Weltliteratur geworden. Die Nationalsozialisten lehnten das Werk ab. Der Roman stand auf der Liste der Bücher, die 1933 öffentlich verbrannt wurden.

04.12.1930, Donnerstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Freispruch. Der Prozess gegen Grosz endete vor dem Revisionsgericht mit einem Freispruch. Christus mit der Gasmaske stellt keine Gotteslästerung dar. Werner überbrachte mir die Nachricht. Gleichzeitig warnte auch er vor den Nationalsozialisten.

„Die Freiheit der Kunst ist bedroht. So hat Wilhelm Frick, der erste Minister, den die NSDAP stellt, in Weimar verfügt, dass die Wandgestaltung Schlemmers im Werkstattgebäude übermalt wird. Im Weimarer Schlossmuseum hat er die Bilder der modernen Künstler in den Keller schaffen lassen. Und er hat Remarques Buch Im Westen nichts Neues für den Schulunterricht verboten.“

Tatsächlich scheint es, als würde die NSDAP versuchen, die Meinungsfreiheit der Andersdenkenden zu beschränken

Die Werke von Grosz und Schlemmer wurden von den Nationalsozialisten später als „entartete Kunst“ diffamiert. Heute erinnert eine Gedenktafel am Wohnhaus des Künstlers an sein Werk.

10.11.1930, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Barlach-Ausstellung bei Flechtheim. Flechtheim hat Ernst Barlach tatsächlich dazu gebracht, seine Gipsmodelle in Bronze zu gießen.

Alfred Flechtheim, angesehener Galerist, Kunsthändler, Kunstsammler und Verleger in Berlin war ein Förderer insbesondere der avantgardistischen Kunst. Mit dem „Querschnitt“ beschritt er neue Wege, indem er populär gesellschaftliche Themen aus Sport und Varieté mit Berichten über Kunst in einer Kunstzeitschrift vereinte. Der Jude Alfred Flechtheim erkannte die Gefahr des Nationalsozialismus schon früh. Sein Engagement für die Moderne Kunst führte außerdem zu ständigen Anfeindungen durch die Nationalsozialisten, so dass er Deutschland bereits im Mai 1933 verließ.

Alfred Flechtheim unterhielt eine Kunstgalerie am Lützowufer13, in der ehemaligen Galerie Burchard, wo 1920 die erste Dada-Messe stattfand. Die Biografie Alfred Flechtheims liest sich wie ein Roman und überzeugt durch zahlreiche farbige Abbildungen der Kunstwerke aus seiner Sammlung.

06.05.1930, Dienstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Sie mussten die Brüder Sass aus Mangel an Beweisen wieder freilassen.

Für morgen laden die Brüder zu einer Pressekonferenz in das Nobelrestaurant Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt ein. Das BT berichtet, dass sie bereits Filmangebote bekommen hätten.

Auf den Straßen Berlins macht ein geflüsterter Witz die Runde: Frage: „Wie buchstabiert man Deutschlands bekannteste Verbrecher?“

Antwort: „S-A-S-S“ (SA + SS)

 

 

Das Gebäude des Nobelrestaurants wurde im 2. Weltkrieg komplett zerstört.  Das Areal des Hauses in der Charlottenstraße 49 wurde nach der Wende von einem Privatinvestor erworben, der hier ein Fünf-Sterne-Hotel errichten ließ und dem Namen „Lutter und Wegner“ neues Leben einhauchte.

01.03.1930, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

So hat die nationalsozialistische Bewegung ihren ersten Märtyrer. Man bemühte sich, die Beisetzung Wessels als Heldenbegräbnis zu inszenieren. Aber die Bevölkerung nahm wenig Anteil daran. Rechte und Linke indes nutzten den Trauerzug für Provokationen. Der Zug führte unweit des Karl Liebknecht-Hauses, der Parteizentrale der KPD, am Bülow-Platz vorbei. Weil Zusammenstöße zwischen Rechten und Linken befürchtet wurden, verbot man einen Trauerzug zu Fuß. Außerdem war es den Parteigenossen Wessels verboten, Uniform zu tragen. Mir begegnete der Leichenzug in der Linienstraße, ein schwarzer Leichenwagen, von schwarzen Pferden gezogen und von mehr als zehn geschlossenen Wagen gefolgt. Vor und hinter dem Leichenwagen fuhren Lastwagen der Schutzpolizei. Die Seitenwände waren heruntergeklappt, damit man schnell abspringen und eingreifen konnte. Der Zug fuhr zum Grab der Familie Wessel auf dem St. Nikolai-Friedhof im Bezirk Prenzlauer Berg.

Von Phillip erfuhr ich, dass am Grab Fahnen der SA erlaubt waren. Der Gauleiter von Berlin, Goebbels, habe die Grabrede gehalten.

 

Am Bülowplatz im Scheunenviertel in Berlin-Mitte kann man gut Geschichtliches während und nach der Weimarer Republik nachverfolgen. Er war immer Schauplatz der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Parteien und Organisationen. Über das Scheunenviertel könnte man einen eigenen Roman schreiben. Es war ein typisches Arbeiterviertel mit Mietkasernen. Die Borsigwerke lagen gleich daneben. Die berüchtigten Ringvereine der Zwanziger Jahre waren (nicht nur) im Scheunenviertel zu Hause. Heute ist keine der ehemaligen Scheunengassen mehr in ihrer ursprünglichen Form erhalten.

Am Bülowplatz selbst steht das Karl Liebknecht Haus, seit 1926 Sitz der KPD und heute Parteizentrale der „Linke“. Die Berliner Volksbühne ist seit 1915 am Bülowplatz beheimatet. 1929 eröffnete an diesem Platz das berühmte Kino Babylon.

Nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus wurde der Platz 1933 in Horst Wessel Platz umbenannt zur Erinnerung an Horst Wessel, Sturmführer der SA , einer der „ersten Märtyrer“ des Nationalsozialismus. Nach dem 2. Weltkrieg  hieß der Platz zunächst Liebknechtplatz, dann Luxemburg Platz und schließlich ab 1969 Rosa Luxemburg Platz.

„Denkzeichenr“ am Boden des Platzes mit ZItaten von Rosa Luxemburg erinnern an die Weggefährtin Karl Liebknechts. Außerdem weist eine Infotafel auf die ehemalige Bedeutung des Scheunenviertels hin.