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Dezemberzeit

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Weihnachtszeit
Freundlichkeiten
Geschenke.
Lieder vom Frieden.
Gefühle.

   Sie werfen uns falsche Gefühle vor.
Sie kleben diesen Aufkleber quer über unsere Weihnachtszeit:
„Was habt Ihr von Januar bis November getan?“

   Zugegeben:
Irgendetwas zwischen weniger und nichts.
Trotzdem:
Dezember ist besser als nie.
Wer weiß:
Vielleicht üben wir noch.

Stromausfall

Sie hatte gerade die Weihnachtsgans noch einmal mit der Beize bestrichen, als das Licht ausging. Auch der Backofen hatte sich ausgeschaltet und die Kontrollleuchte am Herd war dunkel geworden.
‚Sicherung rausgeflogen … ausgerechnet jetzt‘, dachte sie. ‚Wie sollte sie so das Weihnachtsessen pünktlich fertig bekommen? ‘
Im Keller traf sie ihren Mann.
Er hatte den Sicherungskasten geöffnet. Es war schon fast dunkel im Keller. Die Dämmerung hatte begonnen und ein graues Licht drang durch das Kellerfenster. Fast konnte man die Kippschalter der Sicherungen nicht mehr erkennen.
„Hast du wieder alle Lichterketten an eine Stromleiste angeschlossen?“ fragte sie ärgerlich ihren Mann. „ Du weißt doch, dass die altern Leitungen das nicht aushalten.“
Er wollte unbedingt ein altes Haus kaufen und renovieren. Weil alte Häuser so viel mehr Charme und Charakter hatten als ein Neubau. Gleich zu Beginn fand sie diese Idee auch reizend. Sich in einem alten Haus am Stadtrand ein gemütliches Heim schaffen mit Kindern, Hund und Garten. Aber irgendwie wurden sie in diesem Haus nie fertig – oder vielleicht fehlte ihr einfach das Talent, die Räume behaglich und stilvoll zu gestalten. Wenn sie ihre Freundinnen in ihren modernen Stadtwohnungen besuchte und dann zurück kam, fand sie das Haus einfach nur schäbig und alt. Keine Spur von Gemütlichkeit in einem idyllischen alten Haus. Die Räume waren zugestellt mit praktischen Möbeln und kitschigem Ramsch, überall standen und lagen Dinge herum.
„Das sind nun einmal Lebensräume und keine Ausstellungsräume. Dich hat das früher nicht gestört“, hatte ihr Mann einmal erwidert, als sie versuchte, mit ihm über die Unzufriedenheit zu sprechen. Und er hatte Recht, es hatte sie früher nie gestört. Früher hatte sie das als heimelig empfunden. Sie wusste: nicht das Haus hatte sich verändert, sie hatte sich verändert.
„Sind alle drin, das liegt nicht an unseren Leitungen“, unterbrach der Mann ihre Gedanken. „Schau mal raus… dort… die Straßenlampen sind auch aus. Es ist überall der Strom ausgefallen.“
„Stromausfall! Ausgerechnet jetzt, wo ich die Gans im Ofen habe, und das Gemüse und die Kartoffeln sind auch noch nicht fertig!“
„Reg dich nicht auf … die kriegen das bestimmt in wenigen Minuten hin. Unten in der Stadt werden wohl ein paar tausend ihre Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet haben, “ versuchte der Mann die Frau zu beruhigen.
Gemeinsam stiegen sie aus dem Keller nach oben.
„Was is’n los? Ist kein Strom da. Nirgends. Computer geht nicht. Fernseher geht nicht.“ Ihr Sohn hatte sich im Wohnzimmer eingefunden.
„Ich habe gerade mit Melanie telefoniert. Sie hat gesagt, bei ihnen ist auch kein Strom.“ Auch die älteste Tochter war aus ihrem Zimmer gekommen. Sie stand am Fenster und schaute hinaus: „Nirgends Licht! Das muss ja ein gewaltiger Stromausfall sein.“
„Stromausfall ist Stromausfall! Es gibt kein bisschen Stromausfall. Entweder ist er weg oder nicht. Du bist ja auch nicht nur ein bisschen schwanger, blöde Nuss!“
Der Junge stand nun neben seiner Schwester am Fenster.
„Ich bin überhaupt nicht schwanger, du Affe!“ wehrte sich die Schwester.
„Ja, hatte ich ganz vergessen; dazu muss jemand wie du ja erst mal einen abkriegen!“
„Schluss jetzt!“ mischte sich die Mutter ein. Wieso mussten sich die beiden immer streiten.
„Vielleicht sollten wir erst einmal eine Taschenlampe und ein paar Kerzen suchen, bevor es endgültig dunkel geworden ist“, meldete sich der Mann zu Wort.
„Vielleicht könntest du aber auch etwas Sinnvolles tun und irgendwo anrufen und fragen, wie lange das noch dauert, “ erwiderte die Frau. „Die können uns doch nicht ohne Strom sitzen lassen, ausgerechnet an Heilig Abend ! Ich habe die Gans im Backofen!“
„Ich denke, wir warten erst einmal ab. Da ruft doch jetzt jeder an.“ Der Mann hatte eine Taschenlampe gefunden und machte sich auf die Suche nach Kerzen.
Schließlich kam er mit einigen dicken weißen Kerzen zurück. Er zündete sie an und verteilte sie im Wohnzimmer.
Die Frau stellte unter jede Kerze einen Unterteller. Man sah ihr an, was sie von der Initiative ihres Mannes hielt.
„Sieht doch ganz gemütlich aus, richtig weihnachtlich“, meinte er.
„Bist du mit dem Baum eigentlich fertig geworden? Hast du die Krippe aufgestellt?“ fragte die Frau.
„Alles fertig. Ich wollte gerade die Lichterketten ausprobieren.“
„Und was machen wir nun?“ Der Sohn drücke ungeduldig auf der Fernbedienung herum. „Immer noch kein Strom. In 20 Minuten fangen die Simpsons an, das Weihnachtsspecial … aber das können wir ja jetzt vergessen.“
„Melanie meinte, sie hätte gerade Radio gehört und die hätten gesagt, dass der Stromausfall die ganze Gegend betreffen würde. Keiner wüsste, was passiert sei und sie meinten, dass man erst in ein paar Stunden wieder Strom hätte.“ Die Tochter stand noch immer am Fenster, das Handy am Ohr. „Was, wenn da etwas richtig Schlimmes passiert ist?“
„Was wenn da etwas richtig Schlimmes passiert ist?“ äffte der Junge seine Schwester nach. „Was soll denn schon passiert sein?“
„Stromausfälle kommen immer mal wieder vor. So schlimm ist das nicht, “ beruhigte der Mann die Tochter.
Unschlüssig standen alle im Wohnzimmer.
„Ich sollte nach der Kleinen sehen. Sie wird sich in der Dunkelheit fürchten, wenn sie aufwacht“, überlegte die Frau.
Mittlerweile war es draußen ganz dunkel geworden. Eine tiefschwarze Nacht. So dunkel war es hier, so nahe an der Stadt noch nie gewesen.
Es regnete.
‚Also wieder nichts mit weißen Weihnachten. Es wäre so schön gewesen: frisch gefallener Schnee draußen, der Baum mit den bunten Lichtern im Wohnzimmer, die erleuchtete Krippe, das festliche Essen bei stimmungsvoller Weihnachtsmusik und danach die Bescherung, ‘ dachte die Frau. ‚Und jetzt: Stromausfall.‘
„Ich geh nachher auf jeden Fall noch weg. Wie haben uns um 10 in der Stadt verabredet. Alternative Weihnachtsfeier. Muss ich jetzt bei Kerzenlicht duschen? Ist ja richtig romantisch.“ Die Tochter machte sich mit einer Kerze auf den Weg ins Badezimmer.
„Solange es keinen Strom gibt, kannst du nirgends hingehen. Überleg mal: die Straßen sind stockdunkel und dann: Was macht eine Disco ohne Strom? Und das mit dem Duschen geht auch nicht. Die Pume braucht Strom, es gibt jetzt kein heißes Wasser in der Dusche. Und die Heizung funktioniert ohne Strom auch nicht.“ Der Mann ging zur Tochter , nahm ihr die Kerze aus der Hand und stellte sie wieder auf den Tisch. „Es wird bald ziemlich kühl hier werden. Wir sollten auf jeden Fall ein paar warme Pullis und Decken bereit legen.“
„Wir können es auch lassen und gleich ins Bett gehen. Weihnachten können wir wohl vergessen … ohne Strom. Es gibt noch nicht einmal etwas zum Essen.“ Der Junge stand auf. „Ich geh ins Bett.“
„Aber wir können doch trotzdem Weihnachten feiern. Wir können uns Brote schmieren oder Plätzchen essen. Wir können zusammen sitzen, ein bisschen reden und uns mit den Geschenken überraschen.“ schlug der Mann vor.
„Bescherung ? Die könnt ihr harken … ohne Strom. Ich hatte mich echt auf die neuen Spiele gefreut. Aber was soll ich jetzt mit denen? Türmchen bauen?“
„Genau ! Ich kann mein neues Handy nicht einmal aufladen … ohne Strom“ unterstützte jetzt auch die Schwester ihren Bruder. „ Und mit was wollen wir uns denn überraschen? Jeder weiß doch sowieso, was er bekommt. Und mein neues Handy, die Playstation Spiele, die Digitalkamera, der elektronische Bilderrahmen … das sind echt alles tolle Geschenke … aber ohne Strom … und einfach nur zusammen sitzen und reden? Auf Befehl ? Das geht doch nicht. Ist doch albern!“
Unschlüssig standen die vier im Wohnzimmer.
‚Wenn wenigstens von irgendwoher ein bisschen Weihnachtsmusik zu hören wäre oder man den Fernseher einschalten könnte. Diese Stille ist nicht zu ertragen ‘ dachte die Frau.

„Kommt das Christkind jetzt bald? Ist es deshalb so dunkel?“, verschlafen stand die Kleine an der Wohnzimmertür. Sie war vom Mittagsschlaf aufgewacht und durch die Dunkelheit dem Lichtschein ins Wohnzimmer gefolgt.
„Das habt ihr aber schön gemacht!“ entzückt schaute die Kleine auf die Kerzen. „Und der Weihnachtsbaum sieht ganz geheimnisvoll aus, so dunkel und mit den Kerzenflammen in den Spiegelkugeln.“
Die Kleine lief zum Weihnachtsbaum.
„Ist jetzt Bescherung? War das Christkind schon da?“ „Oh! Guckt mal, da im Dunkeln, neben dem Baum, ich glaube, da liegen Geschenke! Ist da auch eines für mich dabei?“ Voller Vorfreude und ein bisschen ängstlich, weil es doch ziemlich dunkel in der Ecke war, ging die Kleine zu den Geschenken.
„Ja, das Christkind ist schon da gewesen.“ Die Mutter ging zu der Kleinen. Zum Glück hatte sie doch noch den weißen Plüschhund besorgt, in den sich die Kleine in der Spielzeugabteilung verliebt hatte. Eigentlich lagen mehr als genug Stofftiere im Kinderzimmer herum. Sie hatten beschlossen, einen Kinder-CD-Player und viele CDs für die Kleine zu kaufen. Aber ein Geschenk einfach nur zum Kuscheln, wollte die Mutter dem Kind dann doch noch schenken. Andächtig und mit strahlenden Augen nahm die Kleine ihr Geschenk in Empfang. Sie ging zum Tisch, kletterte auf den Stuhl und begann, das Päckchen im Kerzenlicht auszupacken.
Dann hielt sie inne. „Kriegt ihr keine Geschenke?“, fragte sie die Mutter.
„Ja, weißt du“, der Vater setzte sich zu der Kleinen an den Tisch. „Das Christkind hat irgendwie nicht gewusst, dass heute Stromausfall ist. Jetzt haben wir keinen Strom und unsere Geschenke brauchen alle Strom, um zu funktionieren. Das ist eigentlich ziemlich schade…“
Die Kleine zögerte. Man sah ihr an, dass sie überlegte, ob sie das jetzt wirklich den Erwachsenen anvertrauen sollte. Schließlich hatte sie eine Entscheidung getroffen. Entschlossen sagte sie: „ Aber das Christkind kann da doch nichts dafür. Ich weiß schon lange, wer die ganzen Geschenke kauft und verpackt. Ich habe das Geschenkpapier auf dem Küchentisch liegen sehen und die ganzen Pakete im Schlafzimmer. Das wart ihr. Das Christkind hat nichts verkehrt gemacht!“
Wütend schlug die Kleine mit der Hand auf den Tisch. Dann hielt sie inne. „Aber schade ist es trotzdem, das mit euren Geschenken “, meinte sie traurig. Und dann fiel ihr etwas ein. Sie flüsterte dem Vater ins Ohr und gemeinsam verschwanden die beiden mit der Taschenlampe Richtung Kinderzimmer.
Wenig später kamen sie zurück. Stolz überreichte die Kleine jedem ein Blatt Papier. Es war zusammen gerollt und ungeschickt mit einer roten Schleife umwickelt.
„Da. Ich habe für jeden ein Bild gemalt. Jedem habe ich drauf gemalt, was ich Schönes mit ihm gemacht habe. Wie mein Bruder Fußball mit mir gespielt hat und immer so getan hat, als könnte er nix und wie meine Schwester mich mal ganz vornehm mit ihrem teuren Schminkzeug geschminkt hat. Das war auch lustig! Packt doch mal aus, ich kann euch die Bilder dann erklären, ganz ohne Strom.“
Verlegen standen die vier im Wohnzimmer, jeder mit seinem Geschenk in der Hand.
„Jetzt macht schon!“ Die Kleine wurde ungeduldig. „oder … nein, zuerst stellen wir dem Christkind in der Krippe auch noch eine Kerze hin und singen ihm ein Geburtstagslied.“
„Also ich sing nix!“ protestierte die große Schwester.
„Ist mir viel zu blöd!“ stimmte ihr der Bruder ausnahmsweise zu.
„Ich kann mich eigentlich an gar kein Lied erinnern“, meinte die Mutter und der Vater sagte, er habe noch nie gesungen und könne auch eigentlich gar nicht singen.
„Macht nichts, dann singe ich eben alleine.“
Die Kleine nahm die Kerze vom Tisch und trug sie vorsichtig zur Krippe. Dann hielt sie den neuen Plüschhund liebevoll im Arm, stellte sich vor die Krippe und stimmte mit ihrem dünnen Stimmchen das Weihnachtslied an, das sie im Kindergarten gelernt hatte.
Die Mutter wurde traurig, als sie ihre kleine Tochter so alleine vor der Krippe stehen sah. Und gleichzeitig bewunderte sie den unbedingten Willen des Kindes, ein schönes Weihnachtsfest zu feiern.
Gerne hätte sie mit ihr gesungen, sie bei ihrem tapferen Kampf unterstützt, aber sie konnte es einfach nicht. Sie sah zum Vater hinüber, der damit beschäftigt war, die Kerzen auf dem Tisch neu zu ordnen. Sie blickte zu den beiden Großen, die ratlos auf die Bilder in ihren Händen blickten.
Ihnen allen kam dieses Weihnachtslied unendlich lange vor.
Aber als die Kleine verstummte, war die Stille unerträglich.
„Schön hast du gesungen“, meinte die Mutter schließlich. „Sollen wir jetzt Weihnachtsplätzchen essen?“
„Ja“, flüsterte die Kleine und schaute traurig zur Krippe.
„Kann das Christkind nicht machen, dass der Stromausfall aufhört und alles wieder so ist wie immer?“, fragte sie leise.
Doch dann schaute sie zum Fenster und wurde ganz aufgeregt.
„Es schneit“, rief sie. „Morgen können wir Schlitten fahren und einen Schneemann bauen!“
Tatsächlich. Der Regen hatte aufgehört.
Dicke weiße Flocken fielen am Fenster vorbei auf die Tannen im Garten.
„Guckt mal! Die Straßenlampen! “ Der Junge stand neben der Kleinen am Fenster als das Licht im Wohnzimmer anging. „Dann kann ich ja doch noch Simpsons gucken!“
„Ich geh duschen!“ Die Tochter machte sich auf den Weg zum Badezimmer.
„Und ich schau nach der Gans.“ Die Frau verschwand in der Küche.
„Sollen wir zwei jetzt ausprobieren, ob die Lichterkette am Weihnachtsbaum funktioniert?“ Der Vater hatte die Kleine auf den Arm genommen.
„Au ja!“ rief sie glücklich. „Aber die Kerze beim Christkind, die lassen wir da stehen. Die macht nämlich nicht nur hell, die macht auch warm .“