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Lemminge

Natürlich hätte sie die Kinder auch in den Zug nach Zürich setzen können. Die beiden waren alt genug. Ihre Freundin Nicole hatte recht. Von München nach Zürich gab es eine Direktverbindung und Thorsten hätte sie am Bahnhof abholen können.
Andrea atmete tief durch und versuchte ihre Schultern zu entspannen. Die dreieinhalbstündige Autofahrt von München nach Zürich könnte sie sich wirklich ersparen. Vielleicht würde sie es beim nächsten Mal so machen. Zu den Osterferien.

„Mama, das da rechts war der Bodensee! Stimmt’s? André will mir nicht glauben, dass wir jetzt schon durch drei Länder gefahren sind.“
Sophias Stimme durchbrach Andreas Gedanken.
„Ich habe das in der Schule gelernt. Und was man in der Schule lernt, ist immer richtig, “ wandte sich Sophia mit schulmeisterlichem Ton ihrem jüngeren Bruder zu.
„Du bist doch jetzt auch in der Schule. Da musst du solche Sachen doch auch lernen…“
„Und hat dir die doofe Schule auch beigebracht, wie lange wir noch fahren müssen, bis wir bei Papa sind?“, maulte André zurück.
„Das weiß ich nämlich. Ich kann nämlich aufs Navi gucken und da unten steht die Zeit, wie lange wir noch fahren müssen. Eine Stunde und 15 Minuten. Stimmt’s Mami?“
Manchmal hatte es André nicht leicht mit seiner großen Schwester. Die Neunjährige fühlte sich ihrem kleinen Bruder haushoch überlegen und liebte es, ihn herum zu kommandieren.
„Stimmt doch gar nicht, “ entgegnete Sophia ihrem Bruder, „weil das Navi nämlich die Pausen nicht mitrechnet. Und beim Autofahren ist es ganz wichtig, dass man regelmäßig Pausen macht, weil man sonst einen Unfall baut. Ich habe Recht. Stimmt’s Mami? Und du hast überhaupt keine Ahnung. Du wirst dich ganz schön anstrengen müssen, wenn du in deiner Schule nicht der Schlechteste sein willst. Du dummes Kleinkind.“
Das konnte André nicht auf sich sitzen lassen. Sophia fing sich einen heftigen

Ellbogencheck ein.
„Mami!“ brüllte sie los.
„Könnt ihr nicht noch ein paar Minuten Ruhe geben!“ Andrea wandte sich genervt ihren Kindern auf dem Rücksitz zu.
„Nur noch eine Viertelstunde, dann werden wir eine Pause machen. Und bitte, hört auf, da hinten herum zu turnen, ich muss mich auf den Straßenverkehr konzentrieren.“

Überrascht hatte Andrea festgestellt, dass sie anscheinend bereits seit einiger Zeit dem Geplänkel der beiden auf dem Rücksitz mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte als dem Verkehr. Gut. Sie kannte die Strecke. Sie war sie in den letzten drei Jahren oft genug gefahren. Zusätzlich hatte sie das Navi. Trotzdem war sie erschrocken, dass sie sich so hatte ablenken lassen. Irgendwo musste sie von der A1 abgefahren und auf eine andere Autobahn geraten sein. Seltsam. Sie erinnerte sich, dass sie von wenigen Kilometern noch ein Hinweisschild gesehen hätte. „A1 Zürich 90 km“ hatte da gestanden. Auch das Navi zeigte an, dass sie auf der A1 Richtung Zürich fuhren. Aber seit wann gab es auf diesem Teil der Strecke einen Autobahntunnel? Andrea wüsste ganz bestimmt, wenn hier ein Tunnel wäre. Sie hatte den Rosenbergtunnel bei St. Gallen umfahren und jetzt würde es bis Zürich keine Tunnel mehr geben. Sie fuhr diese Strecke oft genug. Andrea hasste Autobahntunnel. Nicole hatte sie ausgelacht, als sie ihr gestand, dass sie jedes Mal einen Umweg von mehreren Kilometern und den unausweichlichen Stau in Bregenz in Kauf nahm, nur um den Pfändertunnel zu umfahren.
„Dieser Tunnel wurde extra gebaut, um Bregenz zu umfahren. Und er ist nur etwas mehr als sechs Kilometer lang. Du traust dich doch sonst alles!“ Andrea hatte auf die rätselhaften Unfallserien, die sich regelmäßig im Pfändertunnel ereigneten, hingewiesen und gemeint, sie hätte kein gutes Gefühl bei diesem Tunnel.
„Eigentlich habe ich bei keinem Straßentunnel ein gutes Gefühl“, gestand sie damals ihrer Freundin.
„Niemand hat ein gutes Gefühl in einem Autobahntunnel. Aber die meisten Leute fahren trotzdem durch. Du solltest aufpassen, dass du nicht übertreibst mit deiner Angst.“ Dass sie den Rosenbergtunnel auch umfuhr, obwohl der nur 1,5 km lang war und dass sie auf ihrem täglichen Weg zur Arbeit sogar längere Unterführungen mied, erzählte Andrea ihrer Freundin lieber nicht. Andrea wusste, dass Nicole recht hatte.
Seit einiger Zeit hatte Andrea begonnen, regelmäßig das Internet nach Meldungen über Verkehrsunfälle in Autobahntunnel zu durchsuchen und was sie da fand, trug nicht dazu bei, ihr Vertrauen in die Sicherheit der Tunnel zu stärken!

Und jetzt das! Das blaue Hinweisschild, das einen Tunnel ankündigte! Und die Aufforderung, das Licht einzuschalten!
Aber keine Information wie lang der Tunnel war.
Andrea wusste, dass vor jedem längeren Tunnel Parkmöglichkeiten waren, doch hier sah sie keinen Hinweis auf einen Parkplatz. Sie musste daran vorbei gefahren sein. Sie musste sie übersehen haben, als sie ihre Aufmerksamkeit durch die Kinder abgelenkt war.
Aber hier durfte überhaupt kein Tunnel sein! In den Sommerferien war hier noch kein Tunnel. So etwas baute man doch nicht in 3 Monaten! Sie musste sich verfahren haben. Andrea warf einen kurzen Blick auf die Straßenkarte des Navi. A1 Richtung Zürich. Laut Navi war sie auf der richtigen Autobahn.
Aber da war das blaue Hinweisschild gewesen. Und da vorne kam die Ankündigung, dass die Autobahn einspurig werden würde. Bald würde das schwarze Halbrund des Tunneleingangs auftauchen. Andrea spürte wie sich ihr Herzschlag beschleunigte und ihre Hände feucht wurden. Bald würde sie Mühe haben, mit diesen feuchten Händen das Lenkrad zu halten. Und keine Möglichkeit anzuhalten!
Der Verkehr hatte sich auf die rechte Spur eingefädelt. Die Geschwindigkeit war auf 100 km/h beschränkt. Unaufhaltsam rollte die Autolawine auf den Tunneleingang zu.
„Viel zu schnell!“ dachte Andrea.
„Ich kann unmöglich so schnell durch einen Tunnel fahren!“
Andrea bremste scharf ab. Sie beobachtete, wie der vorausfahrende Volvo sich rasch von ihr entfernte. Dann blickte sie in den Rückspiegel und sah den Sattelschlepper rasend schnell näher kommen. Der Fahrer fuhr viel zu dicht auf und hupte ununterbrochen.
„Mami!“,schrien André und Sophia gleichzeitig.
„Fahr weg! Mami! Schnell!“. Sophia hatte sich umgedreht und den riesigen Kühlergrill

des LKWs gesehen, der das gesamte Heckfenster einnahm.
Andrea gab Gas. Was sollte sie auch sonst machen? Und dann hatte sie das Halbrund des Tunneleingangs verschluckt.
Der Tunnel war einspurig. Kein Gegenverkehr. Der wurde durch eine zweite Röhre geleitet.
„Sieht sicher aus und modern“, versuchte sich Andrea sich Mut zu machen. Wenn nur nicht so viel Verkehr wäre. Der Tunnel war fast taghell beleuchtet. Das Licht warf einen matten Glanz auf die glatten Wände der Röhre, die metallisch schimmerten. Andrea konnte das Ende des Tunnels nicht sehen. Sie bemerkte, dass der Tunnel einer leichten Rechtkurve folgte.
Es war still geworden im Wagen. Das Radio hatte Andrea ausgeschaltet, schon beim ersten Hinweisschild. Sie wollte nicht vom Verkehr abgelenkt werden und im Tunnel würde es ohnehin keinen Empfang geben.
Auch die Kinder verspürten die Anspannung der Mutter und verhielten sich ganz ruhig.
„Wir sind überhaupt nicht mehr da, keiner von uns, der Tunnel hat uns verschluckt“, durchfuhr es Andrea und gleichzeitig ermahnte sie sich, sich zusammenzureißen.
Und dann drangen die Geräusche von außen wieder in ihr Bewusstsein. Das tiefe Dröhnen der Motoren, von den Tunnelwänden zurückgeworfen, das surrende Geräusch der Reifen auf dem glatten Asphalt und das metallische, bedrohliche Poltern des Sattelschleppers hinter ihnen, der immer noch zu dicht auffuhr.
„Vielleicht gibt das Navi einen Hinweis auf die Länge des Tunnels“, überlegte Andrea. Sie erschrak, als sie den Hinweis „Off Road“ auf dem beleuchteten Bildschirm las.
„Hier wird es wohl keinen Empfang geben“, versuchte sie sich zu beruhigen.
Wenn nur nicht so viel Verkehr wäre!
Mein Gott, wieso wird in einem Tunnel die Geschwindigkeit nicht auf 50 km/h beschränkt? Hundert sind viel zu schnell! So eng wie das hier ist! Wenn jetzt nur keiner einen Fehler macht!
Andrea sah auf den Tacho ihres Wagens. Die Nadel zeigte auf 110 km/h. Für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, als würden die riesigen Frischluftturbinen die Autos immer schneller und tiefer in den Tunnel hineinziehen.
„Wie der Todesmarsch der Lemminge. Moderne Lemminge in Blechkisten“, ging es ihr durch den Kopf.
„Jetzt reiß dich zusammen!“ Andrea atmete tief durch. „Es ist ganz normal, dass die Autos schneller werden, wenn es bergab geht.“ Sie hatte bemerkt, dass der Tunnel leicht bergab führte.

120 km/h !

Andrea bremste den Wagen, aber der Sattelschlepper hinter ihr kam sofort wieder bedrohlich nahe. Sie zuckte zusammen und hätte fast das Lenkrad verrissen, als das grelle Signalhorn ertönte.
„Mama“, weinte André, „kannst du nicht machen, dass der große LKW vorbei fährt?“
„Dauert der noch lange? Der Tunnel.“, schluchzte jetzt auch Sophia. „Warum sind wir denn in einen Tunnel gefahren? Wir sind noch nie auf dem Weg zu Papa in einen Tunnel gefahren.“
Andrea konnte die Panik in der Stimme ihrer Tochter hören.
„Du musst keine Angst haben. Schau: von uns und hinter uns sind ganz viele Menschen, die alle durch diesen Tunnel fahren. Sie haben alle keine Angst und sie kommen alle ganz sicher wieder aus dem Tunnel heraus. Wir fahren jetzt einfach mit denen mit.“
„Aber warum fahren sie alle so schnell?“, jammerte André.
„Das frage ich mich auch“, ging es Andrea durch den Kopf.
„Vielleicht, weil sie alle auch ganz schnell wieder aus dem Tunnel hinaus in die Sonne wollen“, versuchte sie ihre Kinder zu beruhigen. „Und wenn ihr jetzt noch ein bisschen ruhig bleibt, sind wir auch ganz schnell wieder aus dem Tunnel draußen und werden in der Sonne ein Eis essen. Versprochen.“
„Und wenn das weiter so bergab geht und die Röhre weiter nach rechts dreht, rast du in einer Spirale geradewegs in die Hölle“, flüsterte eine kleine, gemeine Stimme in Andreas Kopf.

130km/h !

Lange würde sie den Wagen nicht mehr in der Spur halten können! Nur eine kleine Unachtsamkeit, ein kleines bisschen zu viel einlenken und sie würde den Wagen mit 130 Stundenkilometer an der Tunnelwand entlang schrammen. Andrea spürte, wie sich ihre schweißnassen Hände um das Lenkrad krallten.
Wie lange fuhren sie eigentlich schon? Das waren doch schon mehr als fünfzehn Minuten! Und das bei dieser Geschwindigkeit! So lange Tunnel gab es in dieser Gegend überhaupt nicht.
Wieso konnte dieser verdammte Sattelschlepper das Tempo mithalten?
Wenigsten schien die ewige Rechtkurve endlich aufzuhören. Andrea konnte nun an dem grauen Volvo vorbei weit nach vorne schauen. Die Reihe der Wagen vor ihr schien kein Ende zu nehmen. Und im Rückspiegel versperrte der riesige Truck komplett die Sicht.
Dann sah sie die Warnschilder.
Bauarbeiten! Verengte Fahrbahn!
„Spinnen die?“ fluchte Andrea panisch. „Was sollen die da noch verengen!“
Aber offensichtlich nahm die Schilder ohnehin keiner ernst. Der Tross der Wagen raste unbeeindruckt weiter, bergab, tiefer und tiefer.
Plötzlich bemerkte Andrea, dass sich die Beleuchtung des Tunnels verändert hatte. Statt der durchgehenden Röhren gab es nur noch alle paar Meter eine Lampe in der Mitte der Tunneldecke. Ihr Licht war eigenartig gelb. Auch die Wände des Tunnels hatten sich verändert. Die glatten, metallisch glänzenden Röhren waren grob behauenem Fels gewichen, gerade so als hätte man eben erst diesen Tunnel in den Berg gesprengt. Das Gestein schluckte das Licht der Wagen anstatt es zu reflektieren.
Hier gab es kein Frischluftgebläse und keine Notausgänge mehr. Die Tunnelwände schienen so nah und die Tunneldecke so niedrig, dass Andrea sich wunderte, wie der Sattelschlepper hinter ihr da überhaupt noch durchfahren konnte.
„Das bildest du dir bestimmt alles nur ein. Das ist der Beginn einer Phobie. Ausgerechnet jetzt solltest du besser nicht durchdrehen.“ Andrea versuchte sich selbst zur Ordnung zu rufen, als sie Sophias zitternde Stimme von hinten hörte:
„Mama, wo fahren wir denn hin? Das ist doch gar kein richtiger Tunnel mehr. Wieso ist da so wenig Licht? Musst du so schnell fahren? Kannst du nicht anhalten? Mama!“
Also war es keine Einbildung! Sie fuhr mit 130 km/h durch einen Tunnel bergab, dessen Wände aus behauenem Fels nur noch wenige Meter links und rechts vom Wagen entfernt waren. Sie fuhr in diesem Höllentempo in einem Konvoi von Hunderten anderer Fahrzeuge. Ein Anhalten war unmöglich, der Sattelschlepper hinter ihnen würde sie unweigerlich überrollen.
Vielleicht könnte sie den Wagen auf dem Notstreifen, der immer noch rechts der Fahrbahn an der Tunnelwand entlang führte, anhalten; falls es ihr gelingen würde, bei diesem Tempo aus dem Konvoi auszuscheren und den Wagen unter Kontrolle zu behalten. Blitzschnell überdachte Andrea diese Alternative und verwarf sie wieder. Der Notstreifen war so schmal, dass sie den Wagen ganz eng an die Tunnelwand fahren müsste, um den Verkehr nicht zu behindern. Und was sollte sie dort tun? Aussteigen war ausgeschlossen. Auf der einen Seite war die Tunnelwand und auf der Fahrerseite brauste der Verkehr unerbittlich vorbei. Die Wagentür würde weggerissen werden, noch ehe sie sie ganz geöffnet hätte. Und Notausgänge gab es ohnehin keine.
Und plötzlich sah sie sie: Die Wagen, die auf dem Notstreifen hielten.
Warum waren sie ihr vorher nicht aufgefallen?
Einige davon sahen aus, als würden sie schon ewig da stehen. Autowracks mit zerbrochenen Fenstern und abgerissenen Türen. Bei manchen stand der Kofferraumdeckel auf, so als hätten die Insassen versucht, den Wagen durch den Kofferraum zu verlassen. Und dann sahen auch André und Sophia die Wagen. Und zum ersten Mal war Andrea dankbar dafür, dass sie mit 130km/h durch diesen Tunnel schossen. So schnell, dass die Kinder nur einen flüchtigen Blick auf die Wagen werfen konnten.
Trotzdem.
„Mama“, Andrea spürte, wie Sophia sich von hinten an ihrer Schulter festkrallte „die kaputten Wagen … hast du gesehen? Da sind Menschen drin, ich glaube, die …“
Andrea warf Sophia einen kurzen warnenden Blick im Rückspiegel zu. Aber es war zu spät. Auch André war auf die Wagen aufmerksam geworden.
„Tote Menschen. Da sind tote Menschen drin.“, ergänzte er fast ehrfurchtsvoll die Worte seiner Schwester.
„Müssen wir deshalb so schnell fahren? Dürfen wir deshalb nicht anhalten? Weil wir sterben, wenn wir anhalten?“ flüsterte er erschrocken.
„Vielleicht machen sie auch nur ein Pause und schlafen“, versuchte Andrea ihre Kinder zu beruhigen und merke, dass ihre Stimme bebte.
„Der Tunnel soll jetzt aufhören. Tunnel sind nicht so lang. Bitte Mami, “ flüsterte Sophia.
Dieser Tunnel würde niemals aufhören. Andrea wusste es, sie konnte zwischen zwei Alternativen wählen. Entweder sie würde jetzt auf dem Notstreifen anhalten oder sie würde weiter mit 130 km/h durch diesen verdammten engen Tunnel bergab rasen bis der Tank leer war … und dann auf dem Notstreifen anhalten.
„Wieso vermisst diese Leute keiner? Wieso macht da keiner etwas?“ verzweifelt suchte Andreas Verstand nach einer Erklärung als Sophia schrie:
“Da! Fahr links! Da ist Licht! Das ist die Ausfahrt!“
Ohne nachzudenken riss Andrea das Lenkrad herum. Der Wagen schoss auf den diffusen Lichtkreis zu. Er schlingerte und drohte auszubrechen. Jeden Augenblick erwartete Andrea das Kreischen von Metall, den explosiven Knall, wenn sich das Licht als Illusion entpuppen würde und der Wagen mit 130km/h auf die Tunnelwand knallen würde. Aber alles war besser als immer weiter und weiter dem rasenden endlosen Zug der Lemminge in den schwarzen Abgrund des Tunnels zu folgen. Andrea hielt den Atem an und schloss die Augen. Die Kinder kreischten.

Eine Sekunde später, als Andrea wieder die Augen öffnete, blendete sie die Sonne. Sie bremste den Wagen ab und lenkte ihn auf den Notstreifen der Autobahn. Unbeeindruckt von dem, was doch auch hinter ihnen liegen musste, rasten die anderen Wagen auf der Autobahn vorbei.
„Seid ihr okay?“ am ganzen Körper zitternd drehte sich Andrea nach André und Sophia um. Beide sahen sie an, die Augen vor Schreck noch immer weit aufgerissen.
„Die Leute in den Wagen“, stammelte André „die haben nicht geschlafen.“ Dann begann er zu weinen.
Liebevoll legte Sophia den Arm um die Schultern ihres kleinen Bruders. „Die haben ganz bestimmt geschlafen. Es war ja auch ein ganz langer Tunnel, da sind sie müde geworden. Das stimmt doch, Mami?“ versuchte Sophia ihren Bruder zu trösten, während ihr dicke Tränen über die Wangen liefen.
„Bitte weiter geradeaus fahren!“ schaltete sich in diesem Moment das Navi wieder ein.
Mit bebenden Händen startete Andrea den Wagen. Sie fuhr bis zur nächsten Autobahnraststätte. Dort spendierte sie den Kindern und sich ein großes Eis. Erst als sich Sophia und André etwas beruhig hatten, rief sie bei der Autobahnpolizei an.

„Ich möchte einige Vorfälle melden“ begann sie „in dem Autobahntunnel auf der A1 zwischen Gossau und Uzwil stehen mehrere Wagen auf dem Nothaltenstreifen, die Insassen…“
„Moment“, unterbrach sie der Polizist, „Sagten sie A1? Sie müssen sich irren. Sind sie ganz sicher, dass sie die A1 meinen? Auf diesem Teilstück gibt es keinen Autobahntunnel.“
„Das habe ich mir gedacht“, antwortete Andrea, „ich wollte es nur noch einmal bestätigt haben. Danke für die Auskunft.“
Andrea unterbrach die Verbindung und wendete sich wieder ihren Kindern zu.

„Was haltet ihr davon, wenn ihr das nächste Mal mit dem Zug nach Zürich fahrt?“