15.05.1919, Donnerstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Vor dem Reichstag auf dem Königsplatz demonstrierte das Volk gegen den Versailler Vertrag. Wütende, enttäuschte Menschen um die Siegessäule.

Plakate und Rufe:

Nieder mit dem Gewaltfrieden!

Ich stand inmitten der Menge. Stumm. Ich war froh, dass ich schon bald in die Viktoriastraße zurückkehren musste, weil mich Radke in der Galerie brauchte.

  

 

Auf dem Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik,   stand damals die Siegessäule.  Sie wurde während der Herrschaft der Nationalsozialisten auf ihren heutigen Standort auf den Stern im BerlinerTiergarten versetzt.

Zur Zeit wird in Berlin diskutiert, ob man das Einheitsdenkmal, die sogenannte Einheitswippe, auf den Platz  vor den Reichstagsgebäude  baut.

13.06.1919, Freitag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Noch ein Leichenbegräbnis. Heute wurde Rosa Luxemburg beigesetzt. Wegen des großen Andrangs wurden Eintrittskarten zur Beerdigung ausgegeben. Gemeinsam mit Fritz und dessen Mutter bin ich dem Leichenzug zum Zentralfriedhof Friedrichsfelde gefolgt. Es gab Grabreden von Vertretern der KPD und der USPD.

Viele Blumen und Kränze, ein Plakat mit einem Zitat Rosa Luxemburgs:

Ich war, ich bin, ich werde sein.

Fritz war sehr still. Er hat Rosa Luxemburg persönlich gekannt. Er trauert um den Menschen mehr als um die politische Führerin. Ihr zu Ehren hat er die graue Arbeitermütze gegen einen schwarzen Hut getauscht. Er ist mir fremd im dunklen Anzug.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rosa Luxemburg wurde während des Spartakusaufstandes erschossen. Ihre Leiche wurde in der Nähe der LIchtensteinbrücke in den Landwehrkanal geworfen. Heute erinnert ein  Denkmal und der nach ihr benannte Rosa-Luxemburg-Steg an den Tod der Weggefährtin von Karl Liebknecht.

28.06.1919, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

„Fritz war da. Ohne Vorankündigung. Er hat Bier und Klaren mitgebracht. Setzte sich an den kleinen Tisch in meiner Stube und zündete sich eine Zigarette an. Ich brachte Schnapsgläser, stellte Brot und Wurst auf einem Brett dazu. Mit ernster Miene klappte Fritz ein Messer auf und schnitt die Hartwurst in dünne Scheiben.

„Ich gehe nach Moskau“, begann er endlich.

„Spartakus hat mir dazu geraten. Ich musste die Arbeit im Kabelwerk Cassirer aufgeben. Dort sind zu viele Denunzianten. Es ist ernst. Zu groß die Gefahr, dass mich dasselbe Schicksal wie Jogiches ereilt. Mutter hat mir von eurem Gang ins Schauhaus erzählt. Sie würde es nicht ertragen, mich ein zweites Mal dort zu suchen.“

Fritz widmete sich nun mit der gleichen Sorgfalt dem Brot. Schnitt exakte Scheiben vom Laib ab.

„Ich habe wenig Hoffnung, dass sich die Idee des Bolschewismus in Deutschland durchsetzen wird.“

Er zeigte auf das Essen vor sich auf dem Tisch:

„Der deutsche Arbeiter kämpft für Brot, nicht für eine Überzeugung. Budich wird mich in Moskau empfehlen. Dort kann ich der bolschewistischen Sache mehr dienen…“

Die Quellen-Recherche zum Spartakusbund war für mich ungemein interessant . Auch hier habe ich nicht nur über den Spartakusbund gelesen, sondern mir auch Schriftstücke, die der Spartakusbund verfasst hat, angeschaut – eine für meine politische „Heimat“  ungewohnte Sichtweise .

01.08.1919, Freitag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Der Vater ist in Berlin. Er nimmt an der Tagung des Alldeutschen Verbandes teil. Gemeinsames Essen der Familie in der Markgrafenstraße. Zu Tisch die Sitzordnung wie im Speisezimmer in Witten. Obwohl Gast, trat der Vater als Hausherr auf. Ernst schien es egal. Er blieb entspannt. Seit seiner Arbeit im Verlag wirkt er zufrieden und selbstbewusst. Margarete indes hat die Rolle der Mutter übernommen. Selbst das Parfüm der Mutter hatte sie aufgelegt. Ein schwerer, süßer Duft nach Amber und Vanille. Bemüht, alles im Sinne des Vaters zu richten, fand die Schwester selbst bei Tisch keine Ruhe.

Ich habe die Markgrafenstraße als Wohnsitz von Ernst und Margarete nicht zufälig ausgewählt. Diese Straße gehört zum sogenannten Zeitungsviertel in Berlin, das heute wie damals Sitz der großen Verlage und Pressevertreter ist. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, die Deutsche Presseagentur und der Axel Springer Konzern sind heute im Zeitungsviertel ansässig

 

09.10.1919, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Berlin ist noch nicht sicher. Das BT berichtet, auf Hugo Haase von der USPD sei geschossen worden. Ein Attentat direkt vor dem Gebäude des Deutschen Reichstags.

 

Hugo Haase starb an den Folgen dieses Attentats. Ein Gedenkstein auf dem Sozialistenfriedhof in Friedrichsfelde erinnert an ihn.

08.11.1919 aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Zu Mittag haben Ernst und ich in der Markgrafenstraße Radkes Einladungsliste besprochen.

Ernst sagte mir, dass Hugo Haase gestern gestorben sei. Angeblich habe ein Geisteskranker geschossen. Aber niemand glaubt diese Version. So wird Mord zum Mittel des politischen Disputs und mir scheint, das Volk gewöhnt sich daran.

Trotz der eisigen Kälte und des schmerzenden Knies spazierte ich mit Margarete und den beiden Mädchen zur Spree. Es war ein liebliches Bild, wie die kleine Elise ihr Schwesterchen im Kinderwagen schob, sorgsam darauf bedacht, dass das Gefährt dem Ufer der Spree nicht zu nahe kam. Margarete wird langsam mit Berlin vertraut. Sie erzählte, dass Frau Radke sie in ihre Kreise eingeführt habe:

Hugo Haase starb an den Folgen eines Attentats. Ein Gedenkstein auf dem Sozialistenfriedhof in Friedrichsfelde erinnert an ihn.

09.11.1919, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Revolutionsfeiertag.

Vor einem Jahr hat Scheidemann die Deutsche Republik ausgerufen.

Noch ist es unmöglich, das Ganze zu übersehen. Wird es der Regierung gelingen, das Chaos zu bewältigen? Die Nationalversammlung ist innerlich zerrissen. Parteien, die einander hassen und bekriegen. Dabei müssten sie jetzt zusammenstehen, um gegen die Verelendung der Massen zu kämpfen. Überall Arbeitslose. Kurzarbeit, Entlassungen, Schließungen. Wer Arbeit hat, wird ausgebeutet. Es gab in den letzten Monaten keinen Tag ohne Streik.

Manchmal ändern sich unsere Ansichten, wenn wir genauer hinsehen.