Schlagwort-Archive: Heute keine Schüsse

01.02.1928, Mittwoch aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Ein Skandal im Salon Cassirer. Kunstfälschung. Paul Cassirers Mitarbeiter, Walter Feilchenfeldt und Grete Ring, hatten den Salon nach dessen Tod übernommen. Und nun hat Feilchenfeldt einige Werke in der Van Gogh-Ausstellung als Fälschung erkannt.

Der Kunstsalon Paul Cassirer war von 1901 bis 1933 in der Viktoriastraße in der Nähe des Tiergartens. Neben Ausstellungen fanden dort auch immer wieder Lesungen und Diskussionsrunden zu gesellschaftlichen und politischen Themen statt. Nach dem Tod von Paul Cassirer 1926 übernahmen  seine Mitarbeiter Walter Feilchenfeldt und Grete Ring den Kunstsalon. Die Ausstellungen moderner Kunst im Kunstsalon wurden im Berlin der Weimarer Zeit immer kontrovers diskutiert.

Die Biografie der Familie Cassirer liest sich so spannend wie ein Roman.

23.09.1928, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Wider meine innere Überzeugung bin ich zu der großen Kundgebung auf der Hasenheide in Neukölln gegangen. Stahlhelm, die Vaterländischen Verbände und die Deutschnationale Partei protestierten gegen die Außenpolitik der Reichsregierung.

 

Die Hasenheide ist heute wie damals ein Volkspark unweit des Tempelhofer Feldes..

01.07.1928 aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Werner ist wieder aufgetaucht. Noch hagerer. Und, wie mir scheint, noch mehr dem Kokain verfallen. Tiefschwarze Augenringe. Das Gesicht so bleich, als hätte er Puder aufgelegt. Es fällt ihm schwer, still zu sitzen. Ob ich wohl eine Zigarette für ihn hätte. Als ich verneinte, fragte er nach Bier. Ich solle unbedingt den Künstler Scholz aufsuchen, sagte er. Er betreibe ein Atelier am Nollendorfplatz.

„Ein Expressionist. Aber keiner von der angepassten Sorte. …

Den Nollendorfplatz habe ich nicht zufällig ausgewählt. Viele Berliner Künstler wohnten zur Zeit der Weimarer Republik in dieser Gegend, u.a. Max Beckmann. Erich Kästners Kinderbuch „Emil und die Detektive“  (1929) spielt in der Umgebung des Nollendorfplatzes.

28.11.1928, Mittwoch aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Elsa lud mich zur Eröffnung der Maillol-Ausstellung bei Flechtheim ein. Ich glaube, dass es die Werke Maillols in ihrer Ästhetik durchaus mit den großen Bildhauern aufnehmen können. Danach aßen wir auf den Rheinterrassen im Haus Vaterland. Elsa hatte einen Tisch reserviert. Nach dem Essen schob sie mir ein Schreiben zu:

 

Das Cafè Vaterland im Haus Vaterland war ein beliebter Künstlertreff. Das Haus Vaterland selbst war ein riesiger Gaststättenbetrieb, den man heute wohl unter „Erlebnisgastronomie“ einordnen würde.

Leider gibt es am Potsdamerplatz keinerlei Spuren des imposanten Gebäudes mehr. Aber das Konzept der Erlebnisgastronomie mit zahlreichen Restaurants und Kinos wurde im SonyCenter an gleicher Stelle fortgeschrieben.

 

16.11.1928, Freitag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Phillip lud mich zur Kundgebung der NSDAP im Berliner Sportpalast ein. Dort, wo Max Schmeling von tausenden seiner Fans bejubelt wurde, wo schon Thälmann und Brüning gesprochen haben, wo jedes Jahr das Sechstagerennen stattfindet, dort wollte nun auch Hitler zu seinen Anhängern sprechen. Ich fuhr tatsächlich nach Schöneberg. Ich wollte sehen, wer den Plakaten mit der Ankündigung der Rede folgte. Menschenströme. Zu Fuß, mit der Elektrischen oder im eigenen Wagen mit Chauffeur. Viel Jungvolk. Arbeiter. Angestellte. Bestimmt sind nicht alle Anhänger der NSDAP. Sicherlich viele Neugierige, so wie ich. Schon bald fanden die Menschen drinnen keinen Platz mehr. Vor dem Sportpalast herrschte eine gespannte Stimmung. Braunhemden gegen den Roten Frontkämpferbund.

Später berichtete der Lokalanzeiger von Gewalt und Verletzten. Hitlers Rede hatte die Stimmung aufgeheizt.

 

Der Sportpalast war eine riesige Veranstaltungshalle im Stadtteil Schöneberg  in der in erster Linie Kundgebungen und Sportereignisse ( Sechstagerennen, Boxen) stattfanden . Die Halle wurde 1973 abgerissen und durch triste, mehrstöckige Wohnhäuser ersetzt. Ein Gedenktafel in liebloser, ungepflegter  Umgebung und ein Hinweisschild erinnern an den Sportpalast.

02.04.1928, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Heute ist der Droschkenkutscher Gustav Hartman, der eiserne Gustav, mit seiner Pferdedroschke und dem Wallach Grasmus zu einer Kutschfahrt nach Paris aufgebrochen. H. Theobald von der MoPo wird ihn begleiten und über die Reise berichten. Hartman will durch seine Aktion gegen den Niedergang des Droschkengewerbes protestieren.

Ein wirklich gelungene Imagekampagne in Form von Story Telling. Gustav Hartman hatte extra einen Zeitungsreporter dabei, der live über die 1000 km lange Protestreise von Berlin nach Paris und wieder zurück berichtete. Die Aktion war sehr populär aber nicht wirklich erfolgreich. Die Pferdedroschken wurden trotzdem immer mehr von den Autos verdrängt.

Gustav Hartmann hat man ein Denkmal an der Kreuzung Potsdamer Straße/ Landwehrkanal auf den Mittelstreifen der B 1 errichtet. Ein etwas liebloser Platz für den bekannten Sohn der Stadt.

04.06.1928, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

„Der Eiserne Gustav erreichte nach zweimonatiger Fahrt mit der Pferdekutsche das Ziel seiner Reise: Paris.“


Ein wirklich gelungene Imagekampagne in Form von Story Telling. Gustav Hartman hatte extra einen Zeitungsreporter dabei, der live über die 1000 km lange Protestreise von Berlin nach Paris und wieder zurück berichtete. Die Aktion war sehr populär aber nicht wirklich erfolgreich. Die Pferdedroschken wurden trotzdem immer mehr von den Autos verdrängt.

Gustav Hartmann hat man ein Denkmal an der Kreuzung Potsdamer Straße/ Landwehrkanal auf den Mittelstreifen der B 1 errichtet. Ein etwas liebloser Platz für den bekannten Sohn der Stadt.

06.10.1929, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Über wie viele Leichenzüge angesehener Politiker werde ich noch berichten müssen?

Der Sarg wurde im Sitzungssaal des Reichstages aufgebahrt. Er hatte eine goldene Sargdecke mit schwarzem Reichsadler. Frau Stresemann saß tief verschleiert neben dem Reichspräsidenten. Der Platz vor dem Reichstag war mit zehntausenden Trauergästen gefüllt. Der Leichenzug führte durch das Spalier des Reichsbanners vom Reichstag bis zur Wilhelmstraße. Ein sonniger, warmer Tag.

Vor dem Ausländischen Amt hielt der Zug. Die Fenster von Stresemanns Arbeitszimmer waren schwarz drapiert, davor weiße Lilien.

Das Gebiet um die Wilhelmstraße war zur Zeit der Weimarer Republik als Regierungsviertel bekannt. Nach der Machtergreifung richteten sich die Behörden des NS Regimes in der Wilhelmstraße ein. Viele der Regierungsgebäude wurden während des 2. Weltkrieges zerstört. Die Reichskanzlei stand in der Wilhelmstraße, in ihrem Garten lag der Führerbunker. Gedenktafeln mit historischen Portraits weisen heute auf die besondere Bedeutung der Wilhelmstraße hin und immer noch sind viele Regierungsbehörden in und um die Wilhelmstraße ansässig. Es wurde lange diskutiert, ob man die Plattenbauten aus der DDR Zeit abreißen und das Viertel wieder ähnlich wie vor dem 2. Weltkrieg aufbauen soll. Letztlich kam man zu dem Schluss, die Plattenbauten zu erhalten. Ich finde das gut, sie sind schließlich auch Teil unserer Geschichte.

30.01.1929, Mittwoch aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Berlin hat neue Helden!

Verwegener Einbruch in der Kleiststraße. Bei einem Bankraub in der Discontobank am Wittenbergplatz erbeuteten die Täter vermutlich bis zu zwei Millionen Reichsmark und ließen zwei geleerte Weinflaschen zurück. Die Räuber sind durch einen eigenhändig gegrabenen Tunnel in den Tresorraum eingedrungen. Sie brachen fast zweihundert Schließfächer auf, über deren Inhalt die geschädigten Besitzer bisher nur vage Angaben machten. Man vermutet, dass dort erhebliche Werte vor der Steuerbehörde versteckt worden waren. Nicht wenige Berliner wünschen den Tätern nur das Beste.

21.06.1929, Freitag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

„Trude Radke hat Margarete überredet, sie zur Eröffnung des neuen Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz unweit der Hasenheide zu begleiten. Das neue Warenhaus gilt als das größte im deutschen Reich.

Am Nachmittag im Salon der Galerie schwärmte Margarete von den neun Einkaufsetagen und den modernen Rolltreppen.

„Man steigt aus der U-Bahn und findet sich direkt im Untergeschoss des Warenhauses wieder.“

Die beiden Frauen besuchten den Friseursalon und tranken auf der Dachterrasse Kaffee. Einen wundervollen Blick über die Stadt habe man da. Bei ihrem nächsten Besuch will Margarete unbedingt die Badeanstalt mit den Massageräumen besuchen. Dann wird sie auch die Mädchen mitbringen. Es ist wohl das erste Mal, dass Margarete ihren Umzug an den Tegeler See bereut.

Am späten Abend bin ich noch mit der neuen U-Bahn-Linie zum Hermannplatz gefahren. Die strahlende Lichtsäule auf den beiden Türmen des Kaufhauses ist selbst für Berliner Verhältnisse höchst beeindruckend.

Der imposante U-Bahnhof ist sicherlich einer der größten der Stadt. Man sagt, das Unternehmen Karstadt habe ihn mitfinanziert und dafür einen direkten Zugang zum Bahnhof erhalten.

Auch am Alexanderplatz haben enorme Umbaumaßnahmen begonnen. Arbeiter führen den Verkehr zurzeit über dicke Holzbohlen, die sie über die zukünftigen U-Bahnschächte gelegt haben.

Auch heute unterhält Karstadt an dieser Stelle eine Filiale. Ein Teil der Außenwand des Parkhauses erinnert an das alte Gebäude. Im oberen Stockwerk steht ein Modell des ehemaligen Gebäudes. Noch heute hat Karstadt einen direkten Zugang zum U-Bahnhof, der allerdings eher selten genutzt  wird.