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01.10.1921, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Flechtheim eröffnete wieder eine Galerie. Am Lützow-Ufer, in den gleichen Räumen, in denen im letzten Jahr die Dada-Ausstellung von Burchard war.

Ich habe Werner bei der Eröffnungsausstellung getroffen. Unstet. Unzufrieden, wie immer. Er ist häufig um Flechtheim in den letzten Wochen. Werner hofft, dass er bei dem außergewöhnlichen Galeristen unter Vertrag kommt.

Die erste Ausstellung gibt sich eher konservativ, trotzdem modern. Flechtheim zeigt deutsche und französische Kunst aus dem 20. Jahrhundert. Sogar Radke war angetan von der geschmackvollen Hängung. Es sei nur ein wenig zu viel Franzosenkunst. Flechtheim vertritt Picasso und Braque, herausragende Maler des französischen Kubismus, auch wenn es heißt, dass sich Braque nach seiner Verwundung im Fronteinsatz 1915 von seinem Freund Picasso und dem Kubismus abgewandt habe.

Alfred Flechtheim, angesehener Galerist, Kunsthändler, Kunstsammler  und Verleger in Berlin war ein Förderer insbesondere der  avangardistischen Kunst. Mit dem „Querschnitt“ beschritt er neue Wege, indem er populär gesellschaftliche Themen aus Sport und Varieté mit Berichten über Kunst in einer Kunstzeitschrift vereinte. Der Jude Alfred Flechtheim erkannte die Gefahr des Nationalsozialismus schon früh. Sein Engagement für die Moderne Kunst führte außerdem zu ständigen Anfeindungen durch die Nationalsozialisten, so dass er Deutschland bereits im Mai 1933 verließ.

Heute erinnert nichts mehr an die Galerie am Lützowufer.

02.10.1921, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Der Reichsbund der Kriegsbeschädigten hat zur Demonstration im Lustgarten aufgerufen. Tausende ehemalige Soldaten an Krücken und in Rollstühlen waren dort versammelt. Verstümmelte, die Opfer der Granaten und Minen. Von Brandnarben entstellte Menschen. Blinde. Vom nahen Tod gezeichnete Gesichter, Augen in schwarzen Höhlen, die Opfer des Giftgases. Sie klagen die unzureichende Versorgung der Kriegsbeschädigten durch die Regierung an. Aber es geht ihnen um mehr als nur finanzielle Unterstützung. Sie forderten die öffentliche Anerkennung ihrer Opfer-Leistung. Sie forderten Solidarität. Ich stand am Rande, betrachtete die Gesichter, manche zornig, andere müde, resigniert, als sich ein junger Bursche schreiend aus der Versammlung löste. Voller Verzweiflung entfloh er der Menschenmenge. Ohne sichtlichen Grund. Er schien unverletzt. So wie ihm ergeht es vielen. Die äußeren Verletzungen sind längst verheilt. Es sind die Wunden der Seele, die eitrig immer wieder aufbrechen. Eine Mutter zog hastig ihr Kind beiseite. Fast feindselig war die Stimmung der Passanten. Sie reagierten mit Unverständnis und Empörung.

Neben mir hörte ich ein Flüstern:

„Sozialer Versager. Denen fehlt nur der rechte Wille zu praktischer Arbeit.“

Wie kann es sein, dass dieses Land seine Kriegsopfer nicht achtet und die Kriegskrüppel als Schmarotzer und Parasiten diffamiert? Vielleicht, weil sie an die Schmach der Niederlage erinnern? Eine stets präsente Anklage auf den Straßen Berlins? Vielleicht weil die Regierung, die so bestrebt ist, sich vom Krieg zu distanzieren, sich dabei ungewollt auch von den Opfern abwendet?

13.10.1921, Donnerstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Spät am Abend, bei einem Spaziergang zum Brandenburger Tor, erzählte Elsa, Phillip habe seinem Vater eine Nachricht mittels Bote gesandt.

„Es geht mir gut“, schrieb er, „ich lebe mit ehrhaften Kameraden zusammen. Uns verbinden die Idee und das Streben nach einem freien, stolzen, starken deutschen Reich. Ihr müsst Verständnis haben, dass ich über meine Pläne oder Aufenthaltsorte nicht berichten darf.“

Er bittet seinen Vater, ihm zu vertrauen. Phillip sei überzeugt, den richtigen Weg zu gehen, meinte Elsa.

 

07.04.1929, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Der Stadtrat plant, das U-Bahn-Netz auszubauen. Reuter legte sein Konzept öffentlich vor. Am Alexanderplatz wird es umfangreiche Baumaßnahmen geben. Wenn Berlin ein solches Projekt plant, kann es um seine Finanzen so schlecht nicht stehen.

 

Die erste Untergrundbahn Berlins entstand schon 1895 als Verbindungstunnel zwischen zwei  AEG-Fabriken.

Wer quasi im Vorbeifahren  etwas über die Geschichte der Berliner Verkehrsbetriebe erfahren möchte, dem sei der U-Bahnhof Klosterstraße empfohlen.