Schlagwort-Archive: Weimarer Republik

16.11.1928, Freitag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Phillip lud mich zur Kundgebung der NSDAP im Berliner Sportpalast ein. Dort, wo Max Schmeling von tausenden seiner Fans bejubelt wurde, wo schon Thälmann und Brüning gesprochen haben, wo jedes Jahr das Sechstagerennen stattfindet, dort wollte nun auch Hitler zu seinen Anhängern sprechen. Ich fuhr tatsächlich nach Schöneberg. Ich wollte sehen, wer den Plakaten mit der Ankündigung der Rede folgte. Menschenströme. Zu Fuß, mit der Elektrischen oder im eigenen Wagen mit Chauffeur. Viel Jungvolk. Arbeiter. Angestellte. Bestimmt sind nicht alle Anhänger der NSDAP. Sicherlich viele Neugierige, so wie ich. Schon bald fanden die Menschen drinnen keinen Platz mehr. Vor dem Sportpalast herrschte eine gespannte Stimmung. Braunhemden gegen den Roten Frontkämpferbund.

Später berichtete der Lokalanzeiger von Gewalt und Verletzten. Hitlers Rede hatte die Stimmung aufgeheizt.

 

Der Sportpalast war eine riesige Veranstaltungshalle im Stadtteil Schöneberg  in der in erster Linie Kundgebungen und Sportereignisse ( Sechstagerennen, Boxen) stattfanden . Die Halle wurde 1973 abgerissen und durch triste, mehrstöckige Wohnhäuser ersetzt. Ein Gedenktafel in liebloser, ungepflegter  Umgebung und ein Hinweisschild erinnern an den Sportpalast.

04.06.1928, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

„Der Eiserne Gustav erreichte nach zweimonatiger Fahrt mit der Pferdekutsche das Ziel seiner Reise: Paris.“


Ein wirklich gelungene Imagekampagne in Form von Story Telling. Gustav Hartman hatte extra einen Zeitungsreporter dabei, der live über die 1000 km lange Protestreise von Berlin nach Paris und wieder zurück berichtete. Die Aktion war sehr populär aber nicht wirklich erfolgreich. Die Pferdedroschken wurden trotzdem immer mehr von den Autos verdrängt.

Gustav Hartmann hat man ein Denkmal an der Kreuzung Potsdamer Straße/ Landwehrkanal auf den Mittelstreifen der B 1 errichtet. Ein etwas liebloser Platz für den bekannten Sohn der Stadt.

06.10.1929, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Über wie viele Leichenzüge angesehener Politiker werde ich noch berichten müssen?

Der Sarg wurde im Sitzungssaal des Reichstages aufgebahrt. Er hatte eine goldene Sargdecke mit schwarzem Reichsadler. Frau Stresemann saß tief verschleiert neben dem Reichspräsidenten. Der Platz vor dem Reichstag war mit zehntausenden Trauergästen gefüllt. Der Leichenzug führte durch das Spalier des Reichsbanners vom Reichstag bis zur Wilhelmstraße. Ein sonniger, warmer Tag.

Vor dem Ausländischen Amt hielt der Zug. Die Fenster von Stresemanns Arbeitszimmer waren schwarz drapiert, davor weiße Lilien.

Das Gebiet um die Wilhelmstraße war zur Zeit der Weimarer Republik als Regierungsviertel bekannt. Nach der Machtergreifung richteten sich die Behörden des NS Regimes in der Wilhelmstraße ein. Viele der Regierungsgebäude wurden während des 2. Weltkrieges zerstört. Die Reichskanzlei stand in der Wilhelmstraße, in ihrem Garten lag der Führerbunker. Gedenktafeln mit historischen Portraits weisen heute auf die besondere Bedeutung der Wilhelmstraße hin und immer noch sind viele Regierungsbehörden in und um die Wilhelmstraße ansässig. Es wurde lange diskutiert, ob man die Plattenbauten aus der DDR Zeit abreißen und das Viertel wieder ähnlich wie vor dem 2. Weltkrieg aufbauen soll. Letztlich kam man zu dem Schluss, die Plattenbauten zu erhalten. Ich finde das gut, sie sind schließlich auch Teil unserer Geschichte.

30.01.1929, Mittwoch aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Berlin hat neue Helden!

Verwegener Einbruch in der Kleiststraße. Bei einem Bankraub in der Discontobank am Wittenbergplatz erbeuteten die Täter vermutlich bis zu zwei Millionen Reichsmark und ließen zwei geleerte Weinflaschen zurück. Die Räuber sind durch einen eigenhändig gegrabenen Tunnel in den Tresorraum eingedrungen. Sie brachen fast zweihundert Schließfächer auf, über deren Inhalt die geschädigten Besitzer bisher nur vage Angaben machten. Man vermutet, dass dort erhebliche Werte vor der Steuerbehörde versteckt worden waren. Nicht wenige Berliner wünschen den Tätern nur das Beste.

17.10.1930, Freitag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Wie groß ist die Angst, dass die Republik untergehen möge, wenn sich schon die Schriftsteller zu Wort melden?

Im Beethovensaal richtete Thomas Mann seinen Appell an die Vernunft an die Deutschen. Das Publikum war überwiegend republikanisch oder sozialdemokratisch. Thomas Mann nannte den Nationalsozialismus eine „Riesenwelle exzentrischer Barbarei, entstanden aus primitiv-massendemokratischer Jahrmarktsrohheit.“

Leider haben wir auf unserer Suche nur das ehemalige Wohnhaus des Schrifstellers  Heinrich Mann , dem Bruder von Thomas Mann, gefunden. Naja – immerhin Verwandtschaft und ein ähnliches Schicksal.

Thomas Mann war ein überzeugter Anhänger der Weimarer Republik.  Nach der Machtergreifung der Nazionalsozialisten emigrierte  er 1933 in die Schweiz und später in die USA.  Seit 1952 lebte er wieder in der Schweiz., wo er 1955 starb.

13.10.1930, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Eröffnung des neu gewählten Reichstags.

Ernst erzählte, dass die Abgeordneten der NSDAP uniformiert im Reichstag erschienen seien, obwohl das Tragen der braunen Uniformen in Preußen verboten sei.

Und ebenso provozierend ist das Verhalten ihrer Anhänger auf der Straße.

Am Nachmittag begegneten mir in der Leipziger Straße grölende Nationalsozialisten, die die Scheiben von Wertheim und Grünfeld einwarfen. Es fällt auf, dass die Zerstörung nur die Geschäfte mit jüdischen Namen trifft.

Später auf dem Potsdamer Platz grölten sie wieder:

„Deutschland erwache!“ „Juda Verrecke!“ „Heil, Heil!“

Meist Halbwüchsige sind es, vermutlich Arbeitslose, die immer wieder von der Schupo auseinander getrieben werden. Es erinnert mich an die Tage der Revolution.

Die Regierung muss nun entschlossen handeln, wenn sie keinen Bürgerkrieg riskieren will.

10.09.1930, Mittwoch aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Der Führer der NSDAP sprach im Sportpalast. Ich beschloss, trotz des leichten Regens zu Fuß über die Potsdamer Straße zum Sportpalast nach Schöneberg zu gehen. Wieder das gleiche Bild wie vor nicht einmal zwei Jahren: Ganz Berlin schien auf den Beinen. Und alle waren zur großen Veranstaltungshalle unterwegs. Arbeiter, Angestellte, Studenten, Arbeitslose. Vor dem Sportpalast hielten im Minutentakt die Automobile derer, die sich eine Fahrt im eigenen Wagen leisten können: die Fabrikanten, Unternehmer, Geschäftsleute. Alle wollten den Mann hören, der in seinen Reden während der letzten Wochen immer öfter als Gegner der Republik auftrat. Der Mann, der verspricht, das zerstrittene Volk wieder zu einen und sich der Sorgen der Arbeiter und Arbeitslosen anzunehmen.

„Der Nationalsozialismus kämpft für den deutschen Arbeiter, indem er ihn aus den Händen seiner Betrüger nimmt.“

Der Sportpalast bietet Raum für 16.000 Menschen. Dann wurden die Tore geschlossen. Ich blieb, wie so viele, draußen.

Der Sportpalast war eine riesige Veranstaltungshalle im Stadtteil Schöneberg  in der in erster Linie Kundgebungen und Sportereignisse ( Sechstagerennen, Boxen) stattfanden . Die Halle wurde 1973 abgerissen und durch triste, mehrstöckige Wohnhäuser ersetzt. Ein Gedenktafel in liebloser, ungepflegter  Umgebung erinnert an den Sportpalast.

07.09.1930 aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Die Werke von Schad wurden zur diesjährigen Großen Kunstausstellung nicht zugelassen. Heute gab es im Café Vaterland anlässlich der Eröffnung der Ausstellung heftige Debatten über die Gründe. Zwar war Schad einige Zeit mit dadaistischer Kunst beschäftigt, allerdings hat er sich schon seit längerem der Neusachlichkeit zugewandt. Keiner weiß wirklich zu erklären, warum die meisten seiner Werke abgelehnt wurden.

Das Cafè Vaterland im Haus Vaterland war ein beliebter Künstlertreff. Das Haus Vaterland selbst war ein riesiger Gaststättenbetrieb, den man heute wohl unter „Erlebnisgastronomie“ einordnen würde.

Leider gibt es am Potsdamerplatz keinerlei Spuren des imposanten Gebäudes mehr. Aber das Konzept der Erlebnisgastronomie mit zahlreichen Restaurants und Kinos wurde im SonyCenter an gleicher Stelle fortgeschrieben.

06.12.1930, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Elsa ist in Berlin. Ich habe sie zur deutschen Aufführung von Remarques Im Westen nichts Neues ins Kino am Nollendorfplatz eingeladen. Wir hatten gerade Platz genommen, als junge Braunhemden aufstanden und weiße Mäuse freiließen. Andere warfen Stinkbomben und streuten Niespulver. Dem Publikum blieb nichts anderes übrig, als den Saal zu verlassen.

 

Obwohl Remarque selbst das Buch als unpolitisch bezeichnet hat, ist es als Antikriegsroman zu einem Klassiker der Weltliteratur geworden. Die Nationalsozialisten lehnten das Werk ab. Der Roman stand auf der Liste der Bücher, die 1933 öffentlich verbrannt wurden.

04.12.1930, Donnerstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Freispruch. Der Prozess gegen Grosz endete vor dem Revisionsgericht mit einem Freispruch. Christus mit der Gasmaske stellt keine Gotteslästerung dar. Werner überbrachte mir die Nachricht. Gleichzeitig warnte auch er vor den Nationalsozialisten.

„Die Freiheit der Kunst ist bedroht. So hat Wilhelm Frick, der erste Minister, den die NSDAP stellt, in Weimar verfügt, dass die Wandgestaltung Schlemmers im Werkstattgebäude übermalt wird. Im Weimarer Schlossmuseum hat er die Bilder der modernen Künstler in den Keller schaffen lassen. Und er hat Remarques Buch Im Westen nichts Neues für den Schulunterricht verboten.“

Tatsächlich scheint es, als würde die NSDAP versuchen, die Meinungsfreiheit der Andersdenkenden zu beschränken

Die Werke von Grosz und Schlemmer wurden von den Nationalsozialisten später als „entartete Kunst“ diffamiert. Heute erinnert eine Gedenktafel am Wohnhaus des Künstlers an sein Werk.