Nein ! Mein Herr! Bitte! Lassen sie mich in Ruhe!“
Ein Glas fiel zu Boden und zerbrach in tausend funkelnde Scherben.
Das Geklimpere des uralten Klaviers brach ab. Die Gespräche in dem verrauchten Saloon verstummten.
„Komm, Kleine! Stell dich nicht so an!“
Das unrasierte Gesicht kam näher. Voller Ekel wandte sich Lilly ab. Der fiese Kerl trug eine Augenklappe. Die harten Bartstoppeln kratzen an Lillys Ohr.
„Du wirst doch einem heimatlosen Cowboy ein bisschen Spaß erlauben“, flüstere ihr die raue Stimme zu.
„Nur einen Kuss!“
Grobe Hände packten Lilly und zogen sie nach unten, auf den Schoß des stinkenden Cowboys. Lilly weinte.
„Lass sie in Ruhe! Du siehst doch, dass sie nicht will! Sie ist nicht so eine.“
Der Klavierspieler war aufgestanden und ging auf die beiden zu.
„Misch dich da besser nicht ein, alter Mann!“
Ein zweiter, gemeiner Cowboy verstellte ihm den Weg.
„Wenn der Boss ihr gut zuredet, wird sie schon wollen“, lachte er höhnisch.
„Lass sie! An der ist doch nix dran!“
Auffordernd streckte Molly dem Einäugigen ihren großen Busen entgegen.
„Wie wäre es mit uns zwei?“
„Verschwinde du Schlampe! Ich will mich mit der Lady da unterhalten.“
Der Einäugige stank nach Whiskey. Sein Atem traf Lilly wie ein Faustschlag.
„Nicht war, Süße. Wir beide werden jetzt richtig viel Spaß zusammen haben.“
„Nein! Bitte!“ Verzweifelt versuchte Lilly dem Bösewicht zu entkommen. Aber der Kerl ließ sie nicht los. Lilly schluchzte verzweifelt.
John stellte sein Bierglas auf die Theke und drehte sich langsam um.
„Du nimmst jetzt sofort deine dreckigen Pfoten von der Lady!“
„Wer sagt das denn?“ Missmutig wandte sich der Einäugige um.
„Ich sage das. Und wenn du in 5 Minuten nicht gemeinsam mit deinem Kumpanen die Stadt verlassen hast, könnt ihr die Nacht in einer Gefängniszelle verbringen. Hier ist kein Platz für Leute wie euch!“
Lässig stand John da. Aber seine Gelassenheit war nur scheinbar. Beide Hände hatte er griffbereit über seinen Revolvern, die er geladen in seinem Gürtelholster trug. Seine braune Lederweste hatte John nach hinten geschlagen, so dass der Sheriffstern im matten Licht der Saloonlampen leuchtete.
„Da schau an. Die Augen des Gesetzes sind überall,“ grinste der Cowboy höhnisch. „ Weißt du überhaupt, mit wem du dich da einlässt?“ Das Auge des Einäugigen funkelte drohend.
„Mit einem Schurken, der seine Finger nicht von einer anständigen Dame lassen kann.“
John erwiderte den Blick des Schurken ohne Angst.
„Pass auf, was du sagst. Sheriff. Sonst kann sich die Stadt noch heute nach einem neuen Gesetzeshüter umsehen.“
Der Einäugige schob Lily unsanft von seinem Schoß und stand langsam auf.
Molly führte die zitternde Lilly in eine Ecke des Saloons und redete beruhigend auf sie ein.
Breitbeinig baute sich der Einäugige vor John auf. John war der Blick, den er mit seinem Kumpanen gewechselt hatte, nicht entgangen. Er wusste, er hatte nur zwei Schuss. Ein Leben, auch das Leben eines Sheriffs, war hier draußen im Wilden Westen nicht viel wert. John nahm die Bewegung aus den Augenwinkeln war. Er zog, zielte blitzschnell und schoss zweimal. Der fiese Komplize war sofort tot.
„Wer verdammt ….,“ erstaunt schaute der Einäugige auf sein blutdurchdrängtes Hemd. Dann fiel auch er tot, mit dem Gesicht nach unten auf den schmutzigen Boden des Saloons.
John ging auf ihn zu und stieß ihn mit der Stiefelspitze an.
„John. John ist mein Name. Man nennt mich John Gunfighter, Sheriff von Dodge City. Sag das den anderen Schurken, wenn du in der Hölle ankommst.“
Er wandte sich zwei Farmern zu, die still die Schießerei beobachtet hatten:
„Bringt sie raus. Sagt dem Schreiner, er soll zwei einfache Kisten zusammennageln. Beerdigung auf Staatskosten.“
„Alles in Ordnung?“ Behutsam setzte sich John zu Lilly und legte eine Hand auf ihre Schulter.
„Ja. Vielen Dank!“ Lilly schluchzte immer noch. „Wie gut, dass sie da waren.“
„Ich bin immer da, wenn ich gebraucht werde. Immer dienstags, wenn die Postkutsche hier Station macht. Sie ahnen gar nicht, wie viel Gesindel dann in unsere Stadt gespült wird. Natürlich bringt die Postkutsche nicht nur Gesindel.“
John lächelte Lilly freundlich zu. Zaghaft erwiderte Lilly das Lächeln.
„Sie fragen sich bestimmt, was eine junge, wehrlose Frau ganz allein im Wilden Westen macht. Nicht wahr?“
„Das habe ich mich in der Tat gefragt. Auf jeden Fall sollte eine Frau hier niemals alleine reisen.“
„Wenn die Reise unbedingt notwendig ist, und man keinen hat, der einen begleitet, dann muss man das Wagnis wohl auf sich nehmen.“ Lilly seufzte. „Aber das ist eine lange, traurige Geschichte.“
„Nun, heute gibt es für mich hier nichts mehr zu tun.“ John stand auf. „Wenn sie wollen, begleiten sie mich doch nach Hause. Meine alte Mutter freut sich immer, wenn wir Gäste haben. Sie können mir ihre Geschichte erzählen und in unserem Gästezimmer übernachten. Natürlich nur, wenn sie möchten.“
„Das ist ein wunderbarer Vorschlag. Aber nur, wenn ich ihrer Mutter nicht zu viele Umstände mache.“
Gerne nahm Lilly Johns Angebot an.
Johns Mutter kochte den beiden eine nahrhafte Suppe. Das machte sie immer, wenn John unangekündigte Gäste mit nach Hause brachte. John und Lilly redeten fast die ganze Nacht und tranken Wein.
„Oh John. Ich bin so froh, dass du mir helfen willst. Es ist so gut, dass ich nicht mehr allein bin.“ Lilly war müde aber unendlich erleichtert als sie sich gegen Morgen im Gästezimmer schlafen legte.
„Wir werden deinen Bruder bestimmt finden und zu deiner kranken Mutter bringen. Ich kenne mich hier aus. Ich weiß, wen ich fragen muss. Vertrau mir.“
Leise schloss John die Tür zum Gästezimmer. Draußen zwitscherten bereits die ersten Vögel. John beschloss, aufzubleiben. Er würde sich waschen und rasieren. Dann würde er sein Pferd satteln und dem Sonnenaufgang entgegen reiten, um ganz bestimmten Leuten einige Fragen zu stellen.
„Eine schöne Frau“, ging es John durch den Kopf, als er in den Spiegel schaute und den Rasierschaum auf den Bartstoppeln verteilte.
„Ihr seid ein schönes Paar“, hatte seine Mutter ihm zugeflüstert.
John lächelt.
Dann klopft es an die Badezimmertür.
„Hey Johnny! Mach endlich auf! Du sollst doch nicht abschließen!“
Widerwillig schließt John die Badezimmertür auf.
„Hey! Wie siehst du denn aus?“ Johns jüngere Schwester steht von der Tür.
„Mami! Johnny hat Papas Rasierschaum genommen und sich das ganze Gesicht damit eingeschmiert!“, schreit Lisa nach unten, „und abgespült hat er auch wieder nicht.“
„Petze!“ Hastig wischt Johnny den Rasierschaum aus seinem Gesicht.
„Was machst du denn, Johnny. Du solltest doch nur zur Toilette gehen.“ Johnnys Mutter ist ins Bad gekommen und wischt ihm bestimmt, aber liebevoll das Gesicht sauber.
„Du möchtest doch nicht, dass alle auf dich warten müssen! Jetzt aber los!“
Hastig holpert Johnny die Treppe hinunter.
„Dein Frühstück! Vergiss dein Frühstück nicht!“
Johnny hält seiner Mutter Omas alte, braune Ledertasche hin.
„Bist du ganz sicher, dass du die Tasche heute mitnehmen willst? Nicht deinen Schulrucksack?“ Zweifelnd schaut die Mutter auf die abgegriffene Tasche.
„Das ist meine Satteltasche“, ungeduldig hält Johnny die Tasche auf. „Mach schnell! Die hupen gleich!“
Tatsächlich. In diesem Moment ertönt die Hupe des kleinen Schulbusses, der Johnny jeden Morgen von zu Hause abholt und am späten Nachmittag wieder zurück bringt. Hektik. Der Revolvergürtel mit den beiden Revolvern muss noch umgebunden werden. Keine Munition hat der Lehrer in Johnnys Mitteilungsheft geschrieben. Schnell.
Dann ein Moment der Ruhe. Liebevoll umarmt Johnny seine Mutter. „Tschüss“. Dieser Moment der Ruhe ist wichtig für Johnny. Dann gibt er seiner Schwester einen liebevollen Rippenpuffer und streicht ihr über die Haare. „Tschüss Lissie. Bis heute Abend!“
„Tschüss, Downie“, erwidert Lisa gutgelaunt.
„Du sollst deinen Bruder nicht Downie nennen!“
„Nicht schlimm. Lieb gesagt ist das kein böses Wort, “ verteidigt Johnny seine Schwester.
Dann fällt die Tür ins Schloss und Johnny rennt mit seiner Satteltasche zum Schulbus.
Es ist kalt. Aber er hat seine Mutter überredet heute ohne Jacke gehen zu dürfen. Stolz schaut Johnny auf den Sheriffstern, der in der Morgensonne blinkt.
„Ruhe! Leute! Die strenge Hand des Gesetzes steigt gerade ein.“ Gut gelaunt zwinkert der Busfahrer Johnny zu. „Na, meinst du, du könntest dich hinten zu den Indianern setzen ohne dass es gleich eine Schießerei gibt?“
Johnny grinst den Busfahrer vergnügt an. „Klar!“
Er hat Lilly hinten im Bus erspäht. Lilly , eine wunderschöne Indianerin mit langen schwarzen, geflochtenen Zöpfen mit bunten Federn. Und der Platz neben Lilly ist noch frei.
Johnny wird sich neben Lilly setzten. Und mit ihr reden, während sie zur Schule fahren. Dann werden sie aussteigen und Lukas wird sie schon erwarten. Er würde als Pirat kommen, das hatte er gestern erzählt, mit einer echten Augenklappe. Eigentlich hat Johnny ein bisschen Angst vor Lukas.
Aber wenn Lukas heute in der Schule Lilly wieder ärgert, dann wird Johnny zu ihm gehen und ihm sagen, dass er damit aufhören soll. Und dann wird Johnny Lilly fragen, ob sie seine Freundin sein will. Und sie würden miteinander tanzen und reden und ganz viel lachen.