Archiv der Kategorie: gedacht

Kurztexte, Sprüche

Lasst die Kräuter frei ! Oder doch nicht?

 

Hätte ich meine Großmutter gefragt, welches Kraut in keinem gut sortierten Kräuterbeet fehlen dürfe,  sie hätte erstaunt von ihrem selbstgebrauten Melissentee aufgeschaut und erwidert:  „Welches Kräuterbeet?“ „Aber Großmutter!“, hätte ich geantwortet: „Das Kräuterbeet. Dieses absolut notwendige Karré  im Garten, auf dem der moderne Hobbykoch all jenes  Grünzeug findet, das  für die gesunde, abwechslungsreiche Küche des 21. Jahrhunderts  unerlässlich ist und daher in jedem gut sortierten Bioladen  weit über Markpreis feilgeboten wird. Basilikum, Minze, Rosmarin, Thymian, Koriander.. .“ „Ich weiß, was Gartenkräuter sind“,  hätte mich meine Großmutter unwirsch unterbrochen und mir dann erklärt, wie unsinnig die  Idee dieser selbsternannten Gartenbauexperten sei, die unterschiedlichsten Gewächse an einem einzigen  Platz im Garten zu versammeln. Was soll der Rosmarin neben dem Waldmeister? Der eine liebt Sonne, der andere bevorzugt den Schatten. Der Sauerampfer verdurstet dort, wo der Thymian gedeiht. „Aber die Kräuterspirale!“, hätte ich eingeworfen. „Papperlapapp!“ wäre der Kommentar meiner Großmutter gewesen, „Warum etwas kompliziert machen, wenn es auch einfach geht? Lass die Pflanzen dort wachsen, wo sie sich wohl fühlen. Zwing sie nicht in ein Kräuterghetto mit einer Nachbarschaft, mit der sie nicht klar kommen! „Bravo Oma!“ hätte ich fast gerufen und wäre ihr freudig in die wieder entdeckte Gartenanarchie gefolgt. Hätte den Freiwuchs der Kräuter gefordert. Weg mit den Kräuterbeeten! Fast wäre es so gekommen. Wäre da nicht jener Bekannte gewesen, Hobbykoch und seit neuestem Hobbygärtner, denn ich zwecks Zubereitung eines schmackhaften Salates einmal eben in meinen Garten der freiwachsenden Kräuter sandte, ein paar grüne Blättchen zur Abrundung des Dressings  zu ernten. Und hätte mir jener Freizeitgärtner nicht stolz als Beute seiner Kräuterexpedition eine Handvoll Maiglöckchengrün präsentiert mit den Worten:„Irgendwie habe ich das Kräuterbeet nicht gefunden. Aber dass Du im Frühsommer noch so grünen, kräftigen Bärlauch hast, ist ganz erstaunlich.“ Und plötzlich sah ich Scharen von freizeitkochenden Hobbybotanikern frische Rohkostsalate aus den zarten Blättern des Maiglöckchens schnippeln, vermischt mit der gehackten  Zwiebel der Herbstzeitlosen und garniert mit dekorativen Fingerhutblüten,  und ich sah sie sich winden in Krämpfen und die gesunde Kräuterküche verfluchen,  und ich erkannte:  Freiwachsende Kräuter bergen für den engagierten Laien ein gewisses Risiko. Und ich sah ein: Manchmal ist es doch sinnvoll, das Genießbare vom Ungenießbaren zu trennen.

Stein an Stein


„Garten ist nicht genug, sagte der Schmetterling. Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume muss man haben.“ Hans Christian Andersen 1805 – 1875

Zu der Zeit als Großmutter noch wusste, worauf es im Garten ankam, war ein Steingarten ein karges, felsiges Fleckchen,  auf dem  Pflanzen gediehen, die wenig Ansprüche stellten. Pflanzen aus Alpenregionen etwa oder der Hauswurz, dem schon ein Plätzchen in der Dachrinne genügt, wurden im Steingarten angepflanzt. Wenn heute mein Nachbar stolz erklärt, er habe einen Steingarten angelegt, vorzugsweise den Vorgarten zu einem solchen umgewandelt, damit auch genügend Passanten den steinigen Acker wertschätzen konnten; wenn also dieser Nachbar von seinem Steingarten spricht, dann meint er tatsächlich ein mit Steinen ausgelegtes Gartenareal. Diesem trendigen Steingartenfreund bietet das Gartencenter um die Ecke 64 Artikel in 116 Ausführungen: Bruchsteine, Kies, Granit, Basalt, Glassplit in allen erdenklichen Größen und Farben, dazu Kieswaben und Edelstahlschienen, um die gestalterischen Ideen in Form zu bringen. Und das Gartencenter um die Ecke verkauft immer noch vorzugsweise Pflanzen und hat daher nur eine geringe Auswahl toten Gesteins. Mittlerweile gibt es Händler, die sich ausschließlich auf Steine und Zubehör für den Steingarten spezialisiert haben. Auf Ausstellungsflächen kann ich dort steingewordene Blütenornamente bewundern. Steinerne Bachläufe aus blauem Glassplitt überspannt von einer zierlichen Steinbrücke plätschern durch fantasievolle Steinlandschaften. Und während der betongeplagte Städter sehnsuchtsvoll Pflastersteine herausreißt, um Guerilla Gardening zu betreiben,  während auf den Verkehrsinseln der Großstädte Radieschen gepflanzt werden und sich Stangenbohnen um Laternenpfähle ranken, haben die naturverwöhnten Dorfbewohner die Gegeninitiative ergriffen und begonnen, Magnolien, Rosen, Tulpen und Nelken aus ihren Vorgärten auszuweisen und die Natur mit gefärbtem Glassplitt nachzuahmen. Und da steht er dann, der eiserne Reiher in seinem Teich aus buntem Glas umgeben von einer grauen Wolke Unkrautvernichtungsmittel, denn die Natur lässt sich so einfach nicht ausweisen und irgendwo keimt immer wieder irgendetwas. Und während er da  steht, der Eisenreiher,  und ich davor,  frage ich mich,  wo eigentlich die Kinder sind, weil – man könnte doch – wenigstens einmal – so wie früher durch die Blätterhaufen im Herbst – mit den Schuhen – den blauen Kies in den weißen …

Urlaub am Meer – Über den Wert der Dinge

 

Eigentlich wollte ich nichts mehr sammeln.

Aber ein Spaziergang am Strand ohne etwas aufzuheben und einzustecken?

Nach Muscheln muss ich mich nicht bücken, es gibt hier keine.

Nach den schönen flachen Kieselsteinen bücke ich mich besser auch nicht, es gibt  hier  zu viele.

Also bücke ich mich nach den Bruchstückchen der Keramikfliesen.

Jemand hat sie ins Meer entsorgt. Und das Meer hat sie wieder an den Strand gespült. Die Kanten abgerundet, fein geschliffen und poliert. Wie es das Meer so macht mit Dingen , die jemand ins Meer wirft. Glasscherben zum Beispiel.

Glasscherben hätte ich auch sammeln können.

Aber ich habe mich für die Keramikfliesen entschieden.

Ich sammle nur die, auf denen ein Rest der ursprünglichen Glasur zu erkennen ist. Meistens ist dieser Rest cremefarben. Besonders hübsch finde ich die kleinen Bruchstücke, auf denen der cremefarbene Rest  nicht größer als eine kleine Münze ist. Es gibt welche, auf denen eine Zeichnung in der Glasur zu erkennen ist. Die erscheinen mir wertvoller. Davon habe ich nicht so viele gefunden. Auch die Seltenheit der hellblau oder rosa glasierten Stückchen lässt deren Wert steigen. Besonders stolz bin ich auf die Stückchen mit der schwarzen Glasur. Davon habe ich nur zwei. Und das Herzstück meiner Sammlung ist ganz eindeutig der kleine Fliesenteil mit der dunkelblauen Glasur. Davon habe ich nur eine einzige und fast hätte ich sie im dunklen Sand gar nicht gesehen.

Ich habe meine Sammlung heute sortiert. Ich finde, es ist eine ziemlich beachtliche  Sammlung.

Seltsam, wie sich der Wert der Dinge bestimmt.

Wolkenbruch

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Wenn ein vorweihnachtlicher Wolkenbruch
wieder einmal alle Engel aus dem Himmel spült.
Wenn ich die Nähe der Einkaufsmenschen in christlich-weihnachtlicher Stimmung
auch mit Humor nicht mehr ertragen kann
und mir künstlicher Tannenduft Winterlaune heuchelt,
ahne ich, dass ich mir Zeit nehmen sollte –
„Zeit wozu?“
frage ich,
während ich darüber nachdenke,
ob die Rentiere von Lindt nicht doch verkleidete Osterhasen sind.

ich denke

CIMG4269Solange die Menschen eine Sehnsucht haben
nach Frieden, nach Freundschaft, nach Wahrheit und Liebe;
solange sie immer noch hoffen,
dass irgendwie das Gute das Böse besiegen wird;
solange die meisten Geschichten und Filme
ein gutes Ende beschreiben;

so lange wird auch Weihnachten Bestand haben.

Alle unterschiedlichen Lieder, die gesungen werden,
scheinen doch ähnlich – irgendwie.

Sogar in unsere grell erleuchteten Städte und Dörfer
scheint – von irgendwo
das Licht der Weihnacht.

Scheint – von irgendwo
das Licht der Weihnacht
die Menschen zu berühren.

Wir sollten uns die Träume und Sehnsüchte nicht nehmen lassen,
Wir sollten versuchen,
jedes Wesen zu schützen,
das uns hilft, diesen sensiblen Kontakt zum Irgendwo
zu bewahren.

Deshalb sollten wir Engel schützen,
aber auch Feen, Drachen und Einhörner,
unsichtbare Freunde und gute Geister.

Sie alle sind Kinder der gleichen Hoffnung und des gleichen Glaubens.

Denke ich.

Dezemberzeit

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Weihnachtszeit
Freundlichkeiten
Geschenke.
Lieder vom Frieden.
Gefühle.

   Sie werfen uns falsche Gefühle vor.
Sie kleben diesen Aufkleber quer über unsere Weihnachtszeit:
„Was habt Ihr von Januar bis November getan?“

   Zugegeben:
Irgendetwas zwischen weniger und nichts.
Trotzdem:
Dezember ist besser als nie.
Wer weiß:
Vielleicht üben wir noch.

8 Fragen zur Weihnachtszeit

IMG_1171Wenn ich Spekulatius fristgerecht erst ab 1. Advent essen darf, muss ich dann die Brezel vom Martinsumzug bis 11.11. aufheben?
Darf ich Nikoläuse ohne Echtheitszertifikat der Kirche zum Backen verwenden? Bischofsmütze und Stab spielen in Raspelschokolade eher keine Rolle.
Sind Weihnachtsmänner eigentlich nur am Nikolausabend verboten? In manchen Ländern bringen sie traditionell die Geschenke zu Weihnachten.

Kein Plätzchen vor dem 1. Advent ?

 

Noch eine Frage zum punktgenauen Beginn der Weihnachtszeit: Darf ich im Sommer schon an Weihnachten denken?

Ganz heißes Thema: Glühwein – schon vor oder erst nach dem 1.Advent ?
Und wie lange nach Weihnachten darf ich eigentlich noch Plätzchen essen ? Weil danach ist ja eigentlich schon wieder davor …
Darf ich Weihnachtsmärkte, Krippenausstellungen u.ä. vor dem 1.Advent gar nicht erst  besuchen oder dort  nur nichts essen und kaufen?
Und ab wann sind welche Weihnachtslieder zum Singen freigegeben und in welcher Instrumentierung ?

Einsamkeit

Einsamkeit

Ich habe die Batterien aus der alten Küchenuhr genommen. Ich konnte ihr lautes Ticken nicht mehr ertragen. Eigentlich müsste ich aufräumen und endlich einmal Geschirr spülen. Aber wozu? Aber es ist niemand da, den die Unordnung stört. Und wenn doch jemand käme – aber es kommt bestimmt keiner – könnte ich die Küchentür und die anderen Türen schließen und ihn auffordern im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Ich müsste vorher die Fensterläden hochziehen. Irgendwann habe ich sie einfach unten gelassen. Wozu die Anstrengung jeden Morgen und jeden Abend? Ich gehe sowieso nie ins Wohnzimmer. Den Fernseher habe ich in die Küche gestellt. Die Küche reicht mir. Eigentlich ist die Wohnung  zu groß. Ich habe die Suppe von gestern warm gemacht. Gestern hatte ich auch die Suppe von gestern warm gemacht. Eigentlich ist es egal, was ich esse. In der Nachbarwohnung streiten sie. Sie streiten immer. Wahrscheinlich hat sie wieder die Kartoffeln anbrennen lassen.  Bis in meine Küche kann ich den Geruch nach Verbranntem riechen. Schade, dass ich bei denen nicht einfach die Batterien herausnehmen kann. Ich löffele meine Suppe direkt aus dem Topf  – sieht ja keiner – und schalte den Fernseher ein. Ich drehe ihn laut. So hole ich die ganze Welt in meine Küche und übertöne den Streit meiner Nachbarn.

Geht mich ohnehin nichts an.