Schlagwort-Archive: Heute keine Schüsse

07.04.1929, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Der Stadtrat plant, das U-Bahn-Netz auszubauen. Reuter legte sein Konzept öffentlich vor. Am Alexanderplatz wird es umfangreiche Baumaßnahmen geben. Wenn Berlin ein solches Projekt plant, kann es um seine Finanzen so schlecht nicht stehen.

 

Die erste Untergrundbahn Berlins entstand schon 1895 als Verbindungstunnel zwischen zwei  AEG-Fabriken.

Wer quasi im Vorbeifahren  etwas über die Geschichte der Berliner Verkehrsbetriebe erfahren möchte, dem sei der U-Bahnhof Klosterstraße empfohlen.

17.10.1930, Freitag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Wie groß ist die Angst, dass die Republik untergehen möge, wenn sich schon die Schriftsteller zu Wort melden?

Im Beethovensaal richtete Thomas Mann seinen Appell an die Vernunft an die Deutschen. Das Publikum war überwiegend republikanisch oder sozialdemokratisch. Thomas Mann nannte den Nationalsozialismus eine „Riesenwelle exzentrischer Barbarei, entstanden aus primitiv-massendemokratischer Jahrmarktsrohheit.“

Leider haben wir auf unserer Suche nur das ehemalige Wohnhaus des Schrifstellers  Heinrich Mann , dem Bruder von Thomas Mann, gefunden. Naja – immerhin Verwandtschaft und ein ähnliches Schicksal.

Thomas Mann war ein überzeugter Anhänger der Weimarer Republik.  Nach der Machtergreifung der Nazionalsozialisten emigrierte  er 1933 in die Schweiz und später in die USA.  Seit 1952 lebte er wieder in der Schweiz., wo er 1955 starb.

13.10.1930, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Eröffnung des neu gewählten Reichstags.

Ernst erzählte, dass die Abgeordneten der NSDAP uniformiert im Reichstag erschienen seien, obwohl das Tragen der braunen Uniformen in Preußen verboten sei.

Und ebenso provozierend ist das Verhalten ihrer Anhänger auf der Straße.

Am Nachmittag begegneten mir in der Leipziger Straße grölende Nationalsozialisten, die die Scheiben von Wertheim und Grünfeld einwarfen. Es fällt auf, dass die Zerstörung nur die Geschäfte mit jüdischen Namen trifft.

Später auf dem Potsdamer Platz grölten sie wieder:

„Deutschland erwache!“ „Juda Verrecke!“ „Heil, Heil!“

Meist Halbwüchsige sind es, vermutlich Arbeitslose, die immer wieder von der Schupo auseinander getrieben werden. Es erinnert mich an die Tage der Revolution.

Die Regierung muss nun entschlossen handeln, wenn sie keinen Bürgerkrieg riskieren will.

22.02.1930, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Werner war wieder zu Besuch. Er war so aufgebracht, dass er noch nicht einmal Platz nehmen wollte.

„Grosz wird der Prozess gemacht. Sein Bild Christus mit der Gasmaske wurde auf einer Ausstellung beschlagnahmt. Nun ist Anklage gegen ihn erhoben worden. Wegen Beschimpfungen der christlichen Kirche. Wir dürfen uns diese dreiste Beschneidung unserer künstlerischen Freiheit nicht länger gefallen lassen!“ Ich hörte Empörung, aber auch Neid aus dem Bericht Werners.

Die Werke von George Grosz wurden von den Nationalsozialisten später als „entartete Kunst“ diffamiert. Heute erinnert eine Gedenktafel am Wohnhaus des Künstlers an sein Werk.

10.09.1930, Mittwoch aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Der Führer der NSDAP sprach im Sportpalast. Ich beschloss, trotz des leichten Regens zu Fuß über die Potsdamer Straße zum Sportpalast nach Schöneberg zu gehen. Wieder das gleiche Bild wie vor nicht einmal zwei Jahren: Ganz Berlin schien auf den Beinen. Und alle waren zur großen Veranstaltungshalle unterwegs. Arbeiter, Angestellte, Studenten, Arbeitslose. Vor dem Sportpalast hielten im Minutentakt die Automobile derer, die sich eine Fahrt im eigenen Wagen leisten können: die Fabrikanten, Unternehmer, Geschäftsleute. Alle wollten den Mann hören, der in seinen Reden während der letzten Wochen immer öfter als Gegner der Republik auftrat. Der Mann, der verspricht, das zerstrittene Volk wieder zu einen und sich der Sorgen der Arbeiter und Arbeitslosen anzunehmen.

„Der Nationalsozialismus kämpft für den deutschen Arbeiter, indem er ihn aus den Händen seiner Betrüger nimmt.“

Der Sportpalast bietet Raum für 16.000 Menschen. Dann wurden die Tore geschlossen. Ich blieb, wie so viele, draußen.

Der Sportpalast war eine riesige Veranstaltungshalle im Stadtteil Schöneberg  in der in erster Linie Kundgebungen und Sportereignisse ( Sechstagerennen, Boxen) stattfanden . Die Halle wurde 1973 abgerissen und durch triste, mehrstöckige Wohnhäuser ersetzt. Ein Gedenktafel in liebloser, ungepflegter  Umgebung erinnert an den Sportpalast.

07.09.1930 aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Die Werke von Schad wurden zur diesjährigen Großen Kunstausstellung nicht zugelassen. Heute gab es im Café Vaterland anlässlich der Eröffnung der Ausstellung heftige Debatten über die Gründe. Zwar war Schad einige Zeit mit dadaistischer Kunst beschäftigt, allerdings hat er sich schon seit längerem der Neusachlichkeit zugewandt. Keiner weiß wirklich zu erklären, warum die meisten seiner Werke abgelehnt wurden.

Das Cafè Vaterland im Haus Vaterland war ein beliebter Künstlertreff. Das Haus Vaterland selbst war ein riesiger Gaststättenbetrieb, den man heute wohl unter „Erlebnisgastronomie“ einordnen würde.

Leider gibt es am Potsdamerplatz keinerlei Spuren des imposanten Gebäudes mehr. Aber das Konzept der Erlebnisgastronomie mit zahlreichen Restaurants und Kinos wurde im SonyCenter an gleicher Stelle fortgeschrieben.

14.07.1930, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Das neue Pergamon-Museum auf der Spree-Insel ist fertiggestellt. Es ist noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, aber Erich schreibt vor der Eröffnung über die Ausstellung und lud uns zu einer Sonderführung ein. Die antike Architektur und die Ausstellungsstücke aus der Armana-Sammlung sind sicherlich einzigartig. Aber ich muss gestehen, dass Kunstwerke der Antike nur wenig gefühlsmäßige Wirkung in mir erzeugen.

Im Rahmen des Masterplanes Museumsinsel wird das Museum  seit 2013 abschnittsweise saniert.

06.12.1930, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Elsa ist in Berlin. Ich habe sie zur deutschen Aufführung von Remarques Im Westen nichts Neues ins Kino am Nollendorfplatz eingeladen. Wir hatten gerade Platz genommen, als junge Braunhemden aufstanden und weiße Mäuse freiließen. Andere warfen Stinkbomben und streuten Niespulver. Dem Publikum blieb nichts anderes übrig, als den Saal zu verlassen.

 

Obwohl Remarque selbst das Buch als unpolitisch bezeichnet hat, ist es als Antikriegsroman zu einem Klassiker der Weltliteratur geworden. Die Nationalsozialisten lehnten das Werk ab. Der Roman stand auf der Liste der Bücher, die 1933 öffentlich verbrannt wurden.

04.12.1930, Donnerstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Freispruch. Der Prozess gegen Grosz endete vor dem Revisionsgericht mit einem Freispruch. Christus mit der Gasmaske stellt keine Gotteslästerung dar. Werner überbrachte mir die Nachricht. Gleichzeitig warnte auch er vor den Nationalsozialisten.

„Die Freiheit der Kunst ist bedroht. So hat Wilhelm Frick, der erste Minister, den die NSDAP stellt, in Weimar verfügt, dass die Wandgestaltung Schlemmers im Werkstattgebäude übermalt wird. Im Weimarer Schlossmuseum hat er die Bilder der modernen Künstler in den Keller schaffen lassen. Und er hat Remarques Buch Im Westen nichts Neues für den Schulunterricht verboten.“

Tatsächlich scheint es, als würde die NSDAP versuchen, die Meinungsfreiheit der Andersdenkenden zu beschränken

Die Werke von Grosz und Schlemmer wurden von den Nationalsozialisten später als „entartete Kunst“ diffamiert. Heute erinnert eine Gedenktafel am Wohnhaus des Künstlers an sein Werk.

10.11.1930, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Barlach-Ausstellung bei Flechtheim. Flechtheim hat Ernst Barlach tatsächlich dazu gebracht, seine Gipsmodelle in Bronze zu gießen.

Alfred Flechtheim, angesehener Galerist, Kunsthändler, Kunstsammler und Verleger in Berlin war ein Förderer insbesondere der avantgardistischen Kunst. Mit dem „Querschnitt“ beschritt er neue Wege, indem er populär gesellschaftliche Themen aus Sport und Varieté mit Berichten über Kunst in einer Kunstzeitschrift vereinte. Der Jude Alfred Flechtheim erkannte die Gefahr des Nationalsozialismus schon früh. Sein Engagement für die Moderne Kunst führte außerdem zu ständigen Anfeindungen durch die Nationalsozialisten, so dass er Deutschland bereits im Mai 1933 verließ.

Alfred Flechtheim unterhielt eine Kunstgalerie am Lützowufer13, in der ehemaligen Galerie Burchard, wo 1920 die erste Dada-Messe stattfand. Die Biografie Alfred Flechtheims liest sich wie ein Roman und überzeugt durch zahlreiche farbige Abbildungen der Kunstwerke aus seiner Sammlung.