Schlagwort-Archive: Weimarer Republik

10.11.1930, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Barlach-Ausstellung bei Flechtheim. Flechtheim hat Ernst Barlach tatsächlich dazu gebracht, seine Gipsmodelle in Bronze zu gießen.

Alfred Flechtheim, angesehener Galerist, Kunsthändler, Kunstsammler und Verleger in Berlin war ein Förderer insbesondere der avantgardistischen Kunst. Mit dem „Querschnitt“ beschritt er neue Wege, indem er populär gesellschaftliche Themen aus Sport und Varieté mit Berichten über Kunst in einer Kunstzeitschrift vereinte. Der Jude Alfred Flechtheim erkannte die Gefahr des Nationalsozialismus schon früh. Sein Engagement für die Moderne Kunst führte außerdem zu ständigen Anfeindungen durch die Nationalsozialisten, so dass er Deutschland bereits im Mai 1933 verließ.

Alfred Flechtheim unterhielt eine Kunstgalerie am Lützowufer13, in der ehemaligen Galerie Burchard, wo 1920 die erste Dada-Messe stattfand. Die Biografie Alfred Flechtheims liest sich wie ein Roman und überzeugt durch zahlreiche farbige Abbildungen der Kunstwerke aus seiner Sammlung.

06.05.1930, Dienstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Sie mussten die Brüder Sass aus Mangel an Beweisen wieder freilassen.

Für morgen laden die Brüder zu einer Pressekonferenz in das Nobelrestaurant Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt ein. Das BT berichtet, dass sie bereits Filmangebote bekommen hätten.

Auf den Straßen Berlins macht ein geflüsterter Witz die Runde: Frage: „Wie buchstabiert man Deutschlands bekannteste Verbrecher?“

Antwort: „S-A-S-S“ (SA + SS)

 

 

Das Gebäude des Nobelrestaurants wurde im 2. Weltkrieg komplett zerstört.  Das Areal des Hauses in der Charlottenstraße 49 wurde nach der Wende von einem Privatinvestor erworben, der hier ein Fünf-Sterne-Hotel errichten ließ und dem Namen „Lutter und Wegner“ neues Leben einhauchte.

01.03.1930, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

So hat die nationalsozialistische Bewegung ihren ersten Märtyrer. Man bemühte sich, die Beisetzung Wessels als Heldenbegräbnis zu inszenieren. Aber die Bevölkerung nahm wenig Anteil daran. Rechte und Linke indes nutzten den Trauerzug für Provokationen. Der Zug führte unweit des Karl Liebknecht-Hauses, der Parteizentrale der KPD, am Bülow-Platz vorbei. Weil Zusammenstöße zwischen Rechten und Linken befürchtet wurden, verbot man einen Trauerzug zu Fuß. Außerdem war es den Parteigenossen Wessels verboten, Uniform zu tragen. Mir begegnete der Leichenzug in der Linienstraße, ein schwarzer Leichenwagen, von schwarzen Pferden gezogen und von mehr als zehn geschlossenen Wagen gefolgt. Vor und hinter dem Leichenwagen fuhren Lastwagen der Schutzpolizei. Die Seitenwände waren heruntergeklappt, damit man schnell abspringen und eingreifen konnte. Der Zug fuhr zum Grab der Familie Wessel auf dem St. Nikolai-Friedhof im Bezirk Prenzlauer Berg.

Von Phillip erfuhr ich, dass am Grab Fahnen der SA erlaubt waren. Der Gauleiter von Berlin, Goebbels, habe die Grabrede gehalten.

 

Am Bülowplatz im Scheunenviertel in Berlin-Mitte kann man gut Geschichtliches während und nach der Weimarer Republik nachverfolgen. Er war immer Schauplatz der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Parteien und Organisationen. Über das Scheunenviertel könnte man einen eigenen Roman schreiben. Es war ein typisches Arbeiterviertel mit Mietkasernen. Die Borsigwerke lagen gleich daneben. Die berüchtigten Ringvereine der Zwanziger Jahre waren (nicht nur) im Scheunenviertel zu Hause. Heute ist keine der ehemaligen Scheunengassen mehr in ihrer ursprünglichen Form erhalten.

Am Bülowplatz selbst steht das Karl Liebknecht Haus, seit 1926 Sitz der KPD und heute Parteizentrale der „Linke“. Die Berliner Volksbühne ist seit 1915 am Bülowplatz beheimatet. 1929 eröffnete an diesem Platz das berühmte Kino Babylon.

Nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus wurde der Platz 1933 in Horst Wessel Platz umbenannt zur Erinnerung an Horst Wessel, Sturmführer der SA , einer der „ersten Märtyrer“ des Nationalsozialismus. Nach dem 2. Weltkrieg  hieß der Platz zunächst Liebknechtplatz, dann Luxemburg Platz und schließlich ab 1969 Rosa Luxemburg Platz.

„Denkzeichenr“ am Boden des Platzes mit ZItaten von Rosa Luxemburg erinnern an die Weggefährtin Karl Liebknechts. Außerdem weist eine Infotafel auf die ehemalige Bedeutung des Scheunenviertels hin.

12.09.1931, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Heute ist jüdischer Neujahrstag. Wieder wurden jüdische Geschäfte auf dem Kurfürstendamm von Braunhemden demoliert. Ich fürchte, dieses Mal war auch Phillip dabei. Er antwortete nicht, als Radke ihn zur Rede stellte. Nur als sein Vater ihm vorwarf, dass einige dieser jüdischen Geschäftsleute gute Kunden der Galerie seien, meinte Phillip, sein Vater habe früher auch anders über Juden gedacht und solle sich besser überlegen, mit wem er in Zukunft Geschäfte mache.

Kurz nach 1900 gründete  Oscar Tietz  das erste Kaufhaus in Berlin. Es war der Anfang der riesigen Einkaufspaläste.  Später wurden diese Kaufhäuser von den Nationalsozialisten sabotiert und schließlich enteignete man die jüdischen Kaufhausbesitzer.

12.01.1931, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Eldorado.

Erst beim Morgengrauen verließ Luise das Lokal. Sie sah müde aus. Übernächtigt. Das Rouge der Nacht lag noch auf den bleichen Wangen. Aber trotzdem war sie allerliebst anzusehen mit dem kecken Hütchen auf den kurzen Haaren, dem einfachen braunen, kurzen Mantel und den hochhackigen Schuhen. Wohin sie wohl geht, nachdem ihre Schicht endlich zu Ende ist?

Das Eldorado in der Motzstraße war ein berühmtes Vergnügungslokal. Heute erinnert noch der Name des Bio-Marktes „Speisekammer im Eldorado“ an seine Zeit in den Goldenen Zwanzigern.

21.07.1931 aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Eldorado.

Ich brachte es nicht über mich, mit Luise über die Enthüllungen von Ernst zu reden. Sicherlich will der Schwager nur verhindern, dass dieses Mädchen Teil unserer ehrbaren Familie wird. Manchmal vergesse ich, dass Ernst ein von Hauen ist. Er gibt sich immer so weltoffen und freundschaftlich allen gegenüber.

 

Das Eldorado in der Motzstraße war ein berühmtes Vergnügungslokal. Heute erinnert noch der Name des Bio-Marktes „Speisekammer im Eldorado“ an seine Zeit in den Goldenen Zwanzigern.

 

 

20.07.1931, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Ernst brachte mir Luises vollständige Adresse in der Wexstraße.„Nicht gerade beste Wohngegend“, meinte er, „ich habe etwas nachforschen lassen. Deine kleine Tänzerin wohnt da mit einer Hure zusammen, die im ganzen Wohnblock für ihre preiswerten Dienste bekannt ist.

 

Auch Luise wohnte in einer realen Straße und es  gibt sie noch, die Wexstraße.

22.02.1932, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Goebbels gab im Sportpalast bekannt, dass der Führer der NSDAP, Adolf Hitler, sich für das Amt des Reichspräsidenten zur Wahl stellt. Ernst berichtete, die Rede Goebbels habe geklungen, als gäbe es an seinem Wahlsieg keinen Zweifel. Goebbels macht Wahlkampf mit der Not der Menschen. Schürt ihre Angst. Selbst vor dem Thema Selbstmord schreckt er nicht zurück. Mich ekelte es, als Ernst mir einen Artikel des Angriff, geschrieben von Goebbels, vorlas. Nachdem er alle Versprechungen der Weimarer Gründungsväter auf ein besseres, gerechteres Leben als Lügen diffamiert hatte, endete der Artikel mit dem Satz:

Das Glück dieses Lebens in Schönheit und Würde vermochten nicht mehr zu ertragen … und dann folgten die Namen der Selbstmörder dieses Monats.

Goebbels benutzt diese Worte der Krise, um der Republik das Vertrauen des Volkes zu entziehen. Es sind nicht die Krisen, die der Republik schaden. Es sind die Menschen, die diese Republik nicht wollen und alles tun, um ein gutes Regieren zu verhindern.

Der Sportpalast war eine riesige Veranstaltungshalle im Stadtteil Schöneberg  in der in erster Linie Kundgebungen und Sportereignisse ( Sechstagerennen, Boxen) stattfanden . Die Halle wurde 1973 abgerissen und durch triste, mehrstöckige Wohnhäuser ersetzt. Ein Gedenktafel in liebloser, ungepflegter  Umgebung und ein Hinweisschild erinnert an den Sportpalast.

28.01.1932, Donnerstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Um mich von düsteren Gedanken abzulenken, bin ich mit Ernst zum Flughafen Tempelhof gefahren. Hier stellte Dornier das neuentwickelte viermotorige Passagierflugzeug Do-K vor.

Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage macht die Industrie Fortschritte. Vielleicht brauchen die Menschen nur mehr Vertrauen und einen längeren Atem. Dies ist nicht die erste Krise, die die Republik überwindet.

Der Flughafen Tempelhof war einer der ersten Verkehrsflughäfen  Deutschlands und nahm 1923 den Linienverkehr auf.

2008 wurde er geschlossen. Das ehemalige Flugfeld wird als Freizeitpark „Tempelhofer Feld“ von den Berlinern genutzt.

Interessant ist auch die riesige Flughafengebäude, das ab 1936 entstanden ist und 1941 mit einer Gesamtlänge von 1,2 Kilometer und einer Geschossfläche von 307.000 m² eines der längsten und flächengrößten Gebäude Europas ist —  Architektur im Nationalsozialismus eben – direkt daneben war übrigens seit 1934 das KZ Columbia, das man  aber abriss, als das Flughafengebäude in Betrieb genommen wurde.

 

04.07.1932, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Ich war zur großen Demonstration der Kommunisten im Lustgarten. KPD-Abgeordnete mit Sowjetfahnen, dazwischen die roten Fahnen der Einheitsfront.

„Freiheit!“

Der Ruf wurde von Tausenden ausgestoßen, die zugleich die geballte Faust reckten. Mittendrin erkannte ich Fritz, eins mit der Menge, voller Wut, voller Kraft und voller Entschlossenheit. Und am Rande stand ich – wie immer als Beobachter.

Als würde sich die Geschichte wiederholen.

In der Zeit der Weimarer Republik wurde der Lustgarten unweit des Berliner Stadtschlosses  vor allem von der Arbeiterbewegung  zu politischen Kundgebungen genutzt.