Schlagwort-Archive: Weimarer Republik

09.11.1918, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Um vierzehn Uhr sprach Phillip Scheidemann vom Balkon des Reichstags:

„Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammen­gebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die Deutsche Republik.“

Hurrarufe. Hüte flogen in die Luft. Jubel.

Die Menschen vor dem Reichstag erzählten, Karl Liebknecht habe am Stadtschloss, keine zwei Kilometer von hier, die freie sozialistische Republik ausgerufen.

Ich denke an Fritz. Ob ihn die Nachricht vom Abdanken des Kaisers im Gefängnis erreicht?

Während ich dies schreibe, höre ich draußen Maschinengewehrfeuer. Am Stadtschloss, vielleicht auch am Reichstag wird geschossen. Sie kämpfen darum, wer den Kaiser beerbt.

Vom Berliner Stadtschloss Portal IV aus hat Liebknecht zu den versammelten Menschen im Lustgarten gesprochen. Von diesem Portal aus hielt auch Kaiser Wilhelm seine berühmte Balkonrede zum Beginn des 1. Weltkrieges.

Im Informationspavillon zum Berliner Stadtschloss wird  der Bereich um das Schloss als Modell gezeigt. Geschichtskundige Mitarbeiter des Humboldt-Forums beantworten geduldig und mit viel Engagement sämtliche Fragen.

28.12.1918, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Ich begleitete Fritz zum Leichenbegräbnis der getöteten Matrosen. Berlin ist in Grau gehüllt. Wohin man schaut, säumen feldgraue Militärmäntel den Weg. Es regnet ohne Unterlass aus grauen Wolken. Eine ungeheure Menschenmenge hatte sich im Lustgarten versammelt. Kränze und Blumen in Rot und Weiß wurden niedergelegt. Delegierte aller deutschen Spartakusgruppen trafen sich heute in Berlin.

In der Zeit der Weimarer Republik wurde der Lustgarten unweit des Berliner Stadtschlosses  vor allem von der Arbeiterbewegung  zu politischen Kundgebungen genutzt.

07.01.1919, Dienstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Immer wieder Straßenkämpfe und Demonstrationen im Zeitungsviertel.

Ein Maschinengewehrstand in der Schützenstraße. Ein junger Mann mit gewöhnlicher Straßenkleidung, in grauem Anzug und Fedora-Hut, führt die Munition zu. Fabrikarbeiter haben sich hinter Papierbarrikaden verschanzt. Extrablätter fordern die Sozialisten zu Demonstrationen auf.

Auch heute sind im ehemaligen Zeitungsviertel in Berlin die großen Verlagshäuser ansässig.

10.03.1919, Montag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Berlin ist wieder im Ausnahmezustand. Beim roten Rathaus traf ich auf bewaffnete Patrouillen der Sicherheitswehr. Überall auf meinem Weg durch die Stadt gab es Barrikaden, mal von Spartakus, mal von Regierungstruppen. Beide haben Artillerie, schwere Waffen und Handgranaten.

Selbst bei uns in der Viktoriastraße gibt es schwere Kämpfe. Die Regierungstruppen setzen Granatwerfer ein. Das Haus zittert.

Während Noske den Befehl erteilt, jede bewaffnete Person, die gegen Regierungstruppen kämpft, sofort zu erschießen, wird an der Litfaßsäule unweit der Galerie für das neue Fox-Trott-Casino drüben in der Friedrichstraße geworben. Berlin lässt sich seine großstädtische Mentalität nicht nehmen.

Straßenkämpfe, Streiks, Plünderungen und abends Operette.

Das Glas der zerschossenen Gaslaternen knirscht unter den vornehmen Schuhen.

01.04.1919, Dienstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Ich habe Radke überredet, auch Paul Cassirer zur Eröffnung einzuladen. Es täte der Galerie gut, wenn ein wenig Glanz vom Salon Cassirer auf uns herüber strahlen würde. Der Einladung hat Radke zugestimmt, aber er lehnt es nach wie vor ab, seine Galerie durch Lesungen und Debattierrunden aufzuwerten. Er sei Galerist, kein Literat oder Politiker.

Tatsächlich scheint sich im Salon Cassirer ein neuer Debattierclub gegründet zu haben. Graf von Kessler verkehrt regelmäßig an den Donnerstagabenden dort. Über die Straße höre ich Begrüßungen auf Englisch, Französisch, Russisch. Wäre Fritz da, er würde wissen, was im Salon verhandelt wird. Seine kommunistischen Freunde hätten es ihm bestimmt berichtet.

Ich habe immer noch keine Nachricht von dem Freund.

 

Auch eine sehr gute, aber ziemlich „sperrige“ Recherche-Lektüre: die Tagebücher von Harry Graf Kessler. Für „Anfänger“ weniger zu empfehlen, weil Kessler über eine Fülle von Personen und Ereignissen  schreibt, ohne eine historische Einordnung vorzunehmen.

15.05.1919, Donnerstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Vor dem Reichstag auf dem Königsplatz demonstrierte das Volk gegen den Versailler Vertrag. Wütende, enttäuschte Menschen um die Siegessäule.

Plakate und Rufe:

Nieder mit dem Gewaltfrieden!

Ich stand inmitten der Menge. Stumm. Ich war froh, dass ich schon bald in die Viktoriastraße zurückkehren musste, weil mich Radke in der Galerie brauchte.

  

 

Auf dem Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik,   stand damals die Siegessäule.  Sie wurde während der Herrschaft der Nationalsozialisten auf ihren heutigen Standort auf den Stern im BerlinerTiergarten versetzt.

Zur Zeit wird in Berlin diskutiert, ob man das Einheitsdenkmal, die sogenannte Einheitswippe, auf den Platz  vor den Reichstagsgebäude  baut.

13.06.1919, Freitag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Noch ein Leichenbegräbnis. Heute wurde Rosa Luxemburg beigesetzt. Wegen des großen Andrangs wurden Eintrittskarten zur Beerdigung ausgegeben. Gemeinsam mit Fritz und dessen Mutter bin ich dem Leichenzug zum Zentralfriedhof Friedrichsfelde gefolgt. Es gab Grabreden von Vertretern der KPD und der USPD.

Viele Blumen und Kränze, ein Plakat mit einem Zitat Rosa Luxemburgs:

Ich war, ich bin, ich werde sein.

Fritz war sehr still. Er hat Rosa Luxemburg persönlich gekannt. Er trauert um den Menschen mehr als um die politische Führerin. Ihr zu Ehren hat er die graue Arbeitermütze gegen einen schwarzen Hut getauscht. Er ist mir fremd im dunklen Anzug.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rosa Luxemburg wurde während des Spartakusaufstandes erschossen. Ihre Leiche wurde in der Nähe der LIchtensteinbrücke in den Landwehrkanal geworfen. Heute erinnert ein  Denkmal und der nach ihr benannte Rosa-Luxemburg-Steg an den Tod der Weggefährtin von Karl Liebknecht.

28.06.1919, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

„Fritz war da. Ohne Vorankündigung. Er hat Bier und Klaren mitgebracht. Setzte sich an den kleinen Tisch in meiner Stube und zündete sich eine Zigarette an. Ich brachte Schnapsgläser, stellte Brot und Wurst auf einem Brett dazu. Mit ernster Miene klappte Fritz ein Messer auf und schnitt die Hartwurst in dünne Scheiben.

„Ich gehe nach Moskau“, begann er endlich.

„Spartakus hat mir dazu geraten. Ich musste die Arbeit im Kabelwerk Cassirer aufgeben. Dort sind zu viele Denunzianten. Es ist ernst. Zu groß die Gefahr, dass mich dasselbe Schicksal wie Jogiches ereilt. Mutter hat mir von eurem Gang ins Schauhaus erzählt. Sie würde es nicht ertragen, mich ein zweites Mal dort zu suchen.“

Fritz widmete sich nun mit der gleichen Sorgfalt dem Brot. Schnitt exakte Scheiben vom Laib ab.

„Ich habe wenig Hoffnung, dass sich die Idee des Bolschewismus in Deutschland durchsetzen wird.“

Er zeigte auf das Essen vor sich auf dem Tisch:

„Der deutsche Arbeiter kämpft für Brot, nicht für eine Überzeugung. Budich wird mich in Moskau empfehlen. Dort kann ich der bolschewistischen Sache mehr dienen…“

Die Quellen-Recherche zum Spartakusbund war für mich ungemein interessant . Auch hier habe ich nicht nur über den Spartakusbund gelesen, sondern mir auch Schriftstücke, die der Spartakusbund verfasst hat, angeschaut – eine für meine politische „Heimat“  ungewohnte Sichtweise .