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25.06.1922, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Ernst erzählte von Massendemonstrationen im Lustgarten. Mehr als zweihunderttausend Menschen wollten den deutschnationalen Helferich wegen seiner Hetze gegen Rathenau zur Verantwortung ziehen. Helferich hatte noch am Vortag des Attentats die Außenpolitik Rathenaus öffentlich als Vaterlandsverrat gebrandmarkt. Die Zeitungen berichten von der bewegenden, aufrüttelnden Rede des Reichskanzlers Wirth, die mit stürmischem Beifall aufgenommen wurde:

Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!

Wirth klagt zu Recht die hemmungslose Hetze der rechtsgerichteten Presse an. Er wirft ihnen vor, mittelbar am Mord des Außenministers schuldig geworden zu sein.“

In der Zeit der Weimarer Republik wurde der Lustgarten unweit des Berliner Stadtschlosses  vor allem von der Arbeiterbewegung  zu politischen Kundgebungen genutzt.

24.06.1922, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

„Ob sich Geschichte wiederholt?

Ich spazierte mit den Frauen und den Kindern die Uferpromenade entlang, als uns die Menschen auffielen, die sich, wie acht Jahre zuvor, um den Anschlagkasten versammelten und aufgeregt diskutierten. Dann kam uns auch schon der Vater entgegen und meinte, Ernst habe eben telefoniert, Rathenau sei ermordet worden. Auf der Fahrt von seiner Villa in Berlin ins Auswärtige Amt haben die Attentäter auf den Außenminister geschossen. Man vermutet die Organisation Consul hinter dem Anschlag. Selbst der Vater ist erschrocken ob dieses brutalen Mordes. Die Entrüstung und Verbitterung der Menschen ist echt und weitaus heftiger als damals bei der Ermordung des Kronprinzen. Ich hoffe, dass die Linksradikalen nicht Vergeltung üben. Das würde das Reich in einen Bürgerkrieg stürzen und die Regierung endgültig schwächen. Ebert müsste erneut das Militär zu Hilfe rufen. Eine Maßnahme, die Erhardt sehr zupass käme. Sicherlich plant die Organisation unter Ehrhardt immer noch eine Militärdiktatur.

Mich erstaunt, dass Vater das Attentat so vehement verurteilt und sogar zur Beisetzung Rathenaus nach Berlin reisen will. Schließlich war der Außenminister ein überzeugter Anhänger der Republik.“

 

Wir mussten ein bisschen suchen, um den unscheinbaren Gedenkstein, der an das Attentat erinnert zu finden. Rathenau wurde Erdener Straße Ecke Königsallee, als er auf dem Weg ins Auswärtige Amt war, erschossen.

27.07.1922 aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Nach einem ausgedehnten Mittagsmahl im Adlon sind Ernst und ich trotz dunkler Regenwolken Richtung Spreeinsel spaziert. Unter den Linden bot ein Schuhputzer seine Dienste an. Das Messingschild und die Nummer auf seiner Mütze zeigten, dass er eine amtliche Genehmigung zur Ausübung seines Gewerbes hatte. Ihn darf die Sipo hier nicht vertreiben. Mit blinkenden Schuhen spazierten wir weiter zur Museumsinsel. Dieses wunderbare Eiland inmitten Berlins beherbergt in seinen öffentlichen Museen viele der bedeutendsten historischen Kunstschätze der Stadt. Ganz an der nördlichen Spitze der Insel das Kaiser-Friedrich-Museum. Hier hat Wilhelm Bode eine wirklich außerordentliche Skulpturen- und Gemäldesammlung kuratiert.

Die Museumsinsel beherbergt auch heute noch einige der berühmtesten Museen Berlins. Das Alte Museum ((Antikensammlung), das Neue Museum (mit der Büste der ägyptischen Königin Nofretete), das beeindruckende Pergamonmuseum (mit der Säulenhalle des Königs Sahure),  die alte Nationalgalerie ( mit Skulpturen und Gemälden des 19. Jahrhunderts) und schließlich das Bode-Museum  zählen jährlich mehr als 2 Millionen Besucher.

16.02.1924, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Grosz muss 6.000 Mark Strafe für Ecce homo zahlen. Aber meine Vermutung war richtig. Der Prozess hat den Künstler erst richtig in der Öffentlichkeit bekannt gemacht. In der Galerie fragt man nach Werken von ihm.

 

Die Werke von George Grosz wurden von den Nationalsozialisten später als „entartete Kunst“ diffamiert. Heute erinnert eine Gedenktafel am Wohnhaus des Künstlers an sein Werk.

01.09.1925, Dienstag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Ernst Thälmann wird Vorsitzender der KPD. Nun hat auch die kommunistische Partei einen kämpferischen Führer. Ich weiß, Fritz würde Thälmann bedingungslos folgen. Der Kommunist hat den Roten Frontkämpferbund stark gemacht. Ich erinnere mich an eine Parade des Frontkämpferbundes in der Leipziger Straße. Militärisch, diszipliniert, so ganz anders als die anderen Protestmärsche der KPD. Und Thälmann, der Führer, marschierte mit erhobener Faust inmitten seiner Kämpfer.

Ernst Thälmann wurde 1933 verhaftetet, wenige  Tage nach dem Reichstagsbrand. Im August 1944, nach mehr als 11 Jahren Einzelhaft, wurde er erschossen.

Eine Gedenkplatte auf dem Sozialistenfriedhof in Friedrichsfelde erinnert an ihn.

14.06.1925, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

„Ausstellung Neue Sachlichkeit in der Kunsthalle in Mannheim. Radke bringt ein frühes Gemälde von Ernst Fritsch zur Hängung. Ein farblich intensives Gemälde, das das Alltagsleben in der Berliner Vorstadt thematisiert. Eine gute Werbung für die Galerie. Beckmann, Dix, Grosz und Schlichter sind vertreten. Mich spricht diese fast schon dokumentarische und dabei kühl überzogene Wiedergabe der Realität nicht an. Mir fehlt das Herz in diesen Bildern. Elsa verweilte lange vor Selbstbildnis mit Modell von Schad. Dann meinte sie, dass genau diese Kälte die neue Kunst ausmache.

„Die Maler zeigen exakt die gegenwärtige kalte, herzlose Welt. Menschen, die einander so gut zu kennen scheinen, dass selbst ihre Nacktheit sie nicht mehr überraschen kann. Ihr Blick geht ins Leere. Sie schauen sich nicht an. Eine sachliche Intimität ohne Gefühl.“

Elsa schaute mich nachdenklich an und fügte dann hinzu:

„So erlebe auch ich die Menschen um mich herum. Menschen, die fürchten, Gefühle von sich preiszugeben.“

Die Neue Sachlichkeit ist eine der führenden Kunstrichtungen in der Weimarer Republik.

Die Berlinerische Galerie ist ein relativ junges Museum in Berlin. Sie zeigt Kunstwerke Berliner Künstler von 1870 bis heute.  Sie zeigt Bilder von Max Beckmann, Max LIebermann und Otto Dix. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Kunst der Berliner Künstler, die unter den Repressalien des Nationalsozialismus zu leiden hatten. ( Entartete Kunst)

Auch sehr interessant: Die Sammlung zeitgenössischer  Fotografie der Weimarer Republik, als man gerade begann, die Fotografie als Kunstform wahrzunehmen.

Außerdem: Eine umfangreiche Sammlung zur Neuen Sachlichkeit und zu Dada.

12.07.1925, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Trotz alledem im Schauspielhaus. Das Stück wurde anlässlich des zehnten KPD-Parteitages aufgeführt. Es ist ein eigensinniges, historisches, ja äußerst politisches Stück, in dem Piscator ungewöhnliche dramaturgische Mittel einsetzt. Ich kann mich nicht erinnern, dass zuvor jemand filmische Szenen und darstellende Theaterkunst zusammenführte. Trotz alledem – Piscator selbst deklamierte Karl Liebknechts letzten Text. Ich erinnere mich gut an den Text. Er war in der Roten Fahne abgedruckt am Tage seines Todes. Fritz kannte die Rede auswendig. Ein ergreifendes Manifest.

…leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!

Doch Spartakus ist schwach geworden.

Erwin Piscator zeigte im Neuen Schaupielhaus am Nollendorfplatz modernes, politisches Theater. Mit ihm arbeitete u.a. Bertolt Brecht, Thomas Mann, Georg Grosz, Tilla Durieux und John Heartfield. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Schauspielhaus als Varietétheater und zuletzt als Kino und Club weitergeführt. Seit 2014 ist es geschlossen. Eine Gedenktafel erinnert an den Theaterintendanten Erwin Piscator.

 

 

25.09.1926, Sonnabend aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

An der Polizeikonferenz anlässlich der großen Polizeiausstellung nahmen auch ehemalige Feindstaaten teil. Die Berliner debattierten erregt, ob es richtig war, sie einzuladen. Aber auf den Straßen blieb es ruhig.

Auguste ist mit den Jungen und der kleinen Hilde nach Berlin gekommen. Ich habe sie am Lehrter Bahnhof abgeholt. Sie wollen Mäxchen und Margarete ihre Aufwartung machen.

Mit Paul und Heinrich zur Polizeiausstellung. Besonders die Abteilung Hinrichtungsgeräte mit der Folterkammer hatte es ihnen angetan. Anschließend diskutierten sie beim Eisbecher im Adlon die Methoden der modernen Kriminalistik. Wer möchte als Kind nicht bei einer Mordermittlung vom Auffinden des Opfers bis zur Überführung des Täters dabei sein!

Der fünfzehnjährige Paul meinte:

„Eigentlich ist es schade, dass ich die Werke vom Vater übernehmen muss. So kann ich kein Kriminaler werden.“

Er beneidete Heinrich um die Freiheit seiner Berufswahl. Heinrich, der vor fünf Tagen seinen siebten Geburtstag feierte, meinte, er würde gerne das Erbe seines Vaters übernehmen, es mache bestimmt Spaß, über so viele Menschen zu bestimmen.

„Aber am liebsten wäre ich Verkehrspolizist und würde über den Verkehr der Automobile auf den Straßen wachen!“, setzte er hinzu.

Der Verkehrsturm mit den Lichtsignalen am geschäftigen Potsdamer Platz hat großen Eindruck auf den Jungen gemacht.

 

Heute erinnert eine Nachbildung am Potsdamer Platz an der alten Verkehrsturm.

03.09.1926, Freitag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

Ich habe Elsa als Dank für ihre freundschaftliche Hilfe zur Einweihung des Funkturms eingeladen. Ernst hatte mir seine Einladungskarten überlassen. Margarete hat ihn gebeten, die nächsten Tage in ihrer Nähe zu bleiben. Sie rechnet jederzeit mit ihrer Niederkunft.

Der 138 Meter hohe Turm ist der erste Sende- und Aus­sichts­turm im deutschen Reich. Es gab endlose Lobreden der Politiker, die alle gleich klangen und vergessen waren, sobald sie endeten. Nur das Weihegedicht wird vielleicht in Erinnerung bleiben. Vor vier Tagen hatte das Holzdach des Turmrestaurants gebrannt. Der Schwelbrand entstand durch Lötarbeiten. Ich hoffe, dass dies kein schlechtes Omen ist.

Der Berliner Funkturm ist eine Stahlfachwerkkonstruktion. Er steht im Berliner Ortsteil Westend und wurde 1926 anlässlich der 3. Großen Deutschen Funkausstellung in Betrieb genommen. Seit 1966 steht der Turm unter Denkmalschutz

13.06.1926, Sonntag aus „Heute keine Schüsse – Berlin in der Weimarer Republik“

„Heute wurde das Revolutionsdenkmal auf dem Friedhof Friedrichsfelde enthüllt. Ich habe Frau Brauer eingeladen, mich zu begleiten. Gegeneinander versetzte, dunkle Steinquader, ein Sowjetstern und als Schrift die Worte Rosa Luxemburgs

Ich war. Ich bin. Ich werde sein.

Eine moderne, unkonventionelle Form, die Mies van der Rohe entworfen hat. Ich bezweifele, dass es dem Geschmack der einfachen Arbeiter entspricht. Der Abgeordnete Wilhelm Pieck, der selbst beim Spartakusaufstand 1919 dabei war, nutzte die Enthüllung, um zu Demonstrationen für die Fürstenenteignung aufzurufen.“

Der Zentralfriedhof Friedrichsfelde wird auch „Sozialistenfriedhof“ genannt. Hier wurden in der Zeit der Weimarer Republik viele Sozialdemokraten und Kommunisten begraben. Das Revolutuionsdenkmal von Mies van der Rohe wurde im Januar 1935 von Nationalsozialisten zerstört. 1941 wurde die meisten Gräber geschleift. Man wollte jede Erinnerung an diese Gedenkstätte ausmerzen. Das neue Denkmal mit zahlreichen Informationstafeln zur Zeit der Weimarer Republik wurde 1983 an gleicher Stelle errichtet.